Prelest
Das kirchenslawische Wort „Prelest“ (прелесть, wörtl.: „All-Schmeichel“, „All-Lüge“), auch heute noch in Bezug auf spirituelles Leben viel verwendet, bedeutet „Irrtum, Täuschung, Verleitung, Blendwerk, Lüge, Betrug“ und ist ein Begriff, zu dem es in den europäischen Sprachen kein Äquivalent gibt. Es wird als „spirituelle Täuschung“ („spiritual delusion“), „spiritueller Irrtum“ („spiritual deception“) oder „Illusion“, „Selbstverblendung“, „religiöse Selbstüberschätzung“ übersetzt, also die irrige Annahme einer Illusion als Wirklichkeit im Gegensatz zu spiritueller Nüchternheit. Außerhalb des spirituellen Kontexts wird dieses Wort auf Russisch häufig im Sinne von „Charme“, „Attraktivität“ verwendet.
Konnotativ beinhaltet Prelest die Verlockung in dem Sinne, wie die Schlange Eva über die verbotene Frucht täuschte. Der hl. Ignatios Brjantschaninow versteht Prelest viel breiter, vgl. dazu: „Wir sind alle in Prelest“. Laut Prof. Dr. Alexei Osipov bedeutet dieser Satz vor allem, dass wir alle unsere eigenen Sünden und Fehltritte meist nicht bemerken und uns in einer trügerischen Selbstüberschätzung befinden. Dieser hervorragende Theologe, Anhänger der Lehre des hl. Ignatios Brjantschaninow und der Starzen vom Optina-Pustyn-Kloster, definiert Prelest wie folgt: „Prelest ist ein spiritueller Zustand des Menschen, in dem er sich für heilig, vollkommen und Gottes und aller möglichen charismatischen Gaben für würdig hält“.
Aus dem Buch „Über Prelest“ vom hl. Hierarchen Ignatios (Brjantschaninow)
Jünger: Erkläre mir bitte genau und ausführlich den Begriff Prelest. Was ist Prelest?
Starez: Prelest ist die Beschädigung der menschlichen Natur durch die Lüge. Prelest ist der Zustand aller Menschen ohne Ausnahme, welcher durch den Sündenfall unserer Ahnen bewirkt wurde. Wir befinden uns alle im Zustand der Prelest (vgl. den Anfang der 3. Homilie des Ehrwürdigen Simeon dem Neuen Theologen, veröffentlicht 1852 im Optina-Pustyn-Kloster). Das Wissen darum ist der beste Schutz gegen weitere Prelest. Die größte Prelest ist, sich von Prelest frei zu dünken. Wir sind alle betrogen, alle verleitet, befinden uns alle im falschen Zustand und benötigen die Befreiung durch die Wahrheit. Diese Wahrheit ist unser Herr Jesus Christus (Joh. 8,32; 14,6). Mögen wir uns diese Wahrheit durch den Glauben zu eigen machen; flehen wir zu dieser Wahrheit im Gebet, und sie wird uns aus der Untiefe der Selbsttäuschung und Verführung durch die Dämonen herausziehen. Bitterlich ist unser Zustand! Er ist ein Gefängnis, aus dem wir unsere Seele herauszuführen flehen, damit wir den Namen des Herrn preisen (Ps. 142,8). Er ist jene finstere Erde, in die unser Leben durch den Feind niedergeworfen wurde, der uns beneidet und verfolgt hat (Ps. 143,8). Er ist die Gesinnung des Fleisches (Röm. 8,6) und die fälschlich so genannte Kenntnis (1 Tim. 6,20), mit der die ganze Welt verseucht ist, die die eigene Krankheit nicht anerkennt und sie als blühende Gesundheit ansieht. Er ist Fleisch und Blut, die das Reich Gottes nicht ererben können (1 Kor. 15,50). Er ist der ewige Tod, welchen der Herr Jesus Christus heilt und vernichtet, der die Auferstehung und das Leben ist (Joh. 11,25). Solcherart ist unser Zustand. Die Erkenntnis dessen ist ein neuer Anlass zu Tränen. Mögen wir in Tränen zu dem Herrn Jesus flehen, damit ER uns aus dem Gefängnis herausführt, aus den irdischen Ungrunden herauszieht, aus dem Maul des Todes herausreißt. „Unser Herr Jesus Christus“, sagt der Ehrwürdige Simeon der Neue Theologe, „ist eben darum zu uns herniedergestiegen, weil er uns aus dem Gefängnis und der bösesten Prelest herausnehmen wollte“ (Anfang der 3. Homilie).
Jünger: Diese Erklärung ist meinen Begriffen nicht zugänglich. Ich brauche eine Erklärung, die einfacher und meinem Verständnis näher ist.
Starez: Als Mittel zur Vernichtung der Menschheit wurde von dem gefallenen Engel die Lüge angewendet (Gen. 3,13). Aus diesem Grund nannte der HERR den Teufel einen Lügner, den Vater der Lüge und einen Menschenmörder von Anfang (Joh. 8,44). Den Begriff der Lüge hat der HERR mit dem Begriff des Menschenmordes eng verbunden, da das letztere eine unvermeidbare Folge des ersteren ist. Mit den Worten „von Anfang“ wird darauf hingewiesen, dass die Lüge für den Teufel von Anfang an als Instrument für den Menschenmord diente; sie dient ihm ständig als Instrument für den Menschenmord, zur Vernichtung der Menschen. Der Beginn aller Arten des Bösen ist ein lügnerischer Gedanke! Die Quelle der verführenden Selbsttäuschung und der dämonischen Prelest ist ein lügnerischer Gedanke! Mittels der Lüge erschlug der Teufel die Menschheit an ihrer ersten Wurzel, den Urahnen, mit dem ewigen Tod. Unsere Urahnen ließen sich zu Prelest verleiten; das heißt, sie nahmen die Lüge für die Wahrheit, und nachdem sie die Lüge hinter der Maske für die Wahrheit nahmen, beschädigten sie sich mit der unheilbar todbringenden Sünde, was auch unsere Urmutter bezeuge. Die Schlange betrog mich, und ich aß (Gen. 3,13). Seit jener Zeit strebt unsere Natur, mit dem Gift des Bösen verseucht, willkürlich und unwillkürlich das Böse an, das sich dem verzerrten Willen, dem verkehrten Verstand und dem verkehrten Gefühl des Herzens als Gutes und Genuss darstellt. Willkürlich, da es in uns noch einen Rest an Freiheit in der Wahl des Guten und des Bösen gibt. Unwillentlich, da dieser Rest an Freiheit nicht als volle Freiheit agiert, sondern unter dem unentziehbaren Einfluss der Beschädigung durch die Sünde. Solcherart werden wir geboren; es ist uns unmöglich, nicht solcherart zu sein, und daher befinden wir uns alle, ohne jegliche Ausnahme, im Zustand der verführenden Selbsttäuschung und der dämonischen Prelest. Aus dieser Sicht auf den Zustand der Menschen in Bezug auf das Gute und das Böse, auf den Zustand, dem notwendigerweise jeder Mensch unterliegt, ergibt sich folgende Definition von Prelest, die sie hinreichend erklärt: Prelest ist die Aneignung der Lüge, die der Mensch für die Wahrheit hält. Ursprünglich wirkt Prelest auf die Denkweise; nachdem sie akzeptiert wurde und die Denkweise verdorben hat, wird sie sofort dem Herzen mitgeteilt und verkehrt dessen Gefühle; sobald sie das Wesen des Menschen beherrscht, durchflutet sie all seine Aktivitäten, vergiftet selbst seinen Körper, der vom SCHÖPFER mit der Seele untrennbar verbunden wurde. Der Zustand der Prelest ist der Zustand des Unterganges bzw. des ewigen Todes.
Seit der Zeit des Falls des Menschen hält der Teufel zu ihm einen ständigen Zugang (Zitat aus dem Ehrwürdigen Simeon des Neuen Theologen, zitiert in der Homilie von Nikephoros dem Mönch: Ehrwürdiger Makarios der Große, Homilie 7, Kap. 2). Der Teufel hat ein Recht auf diesen Zugang, denn der Mensch hatte sich seiner Gewalt willkürlich durch Gehorsam unterworfen und den Gehorsam an Gott verworfen. Gott hat den Menschen erlöst, gleichsam freigekauft. Dem erlösten Menschen ist die Freiheit gegeben, entweder Gott oder dem Teufel Gehorsam zu leisten, und damit diese Freiheit sich ungezwungen äußern kann, ist dem Teufel ein Zugang zum Menschen freigelassen. Natürlich ist es so, dass der Teufel sich alle Mühe gibt, um den Menschen im alten Abhängigkeitsverhältnis festzuhalten oder sogar in noch größere Versklavung hineinzuführen. Dabei setzt er seine alte und immerwährende Waffe ein: die Lüge. Er bemüht sich, uns zu verleiten und zu betrügen, indem er sich auf unseren Zustand der verführenden Selbsttäuschung stützt, unsere Leidenschaften. Diese krankhaften Triebe bringt er in Bewegung; ihre tödlichen Erfordernisse verkleidet er als Anmut; er bemüht sich, uns zur Befriedigung unserer Leidenschaften zu bewegen. Einer, der dem Wort Gottes treu ist, gestattet sich diese Befriedigung nicht; er zügelt die Leidenschaften, indem er die Angriffe des Feindes abwehrt (Jak. 4,7); indem er nach dem Evangelium gegen die eigene verführende Selbsttäuschung handelt, die Leidenschaften zähmt und dadurch den Einfluss der gefallenen Geister auf sich allmählich vernichtet, kommt er allmählich aus dem Zustand der Prelest in den Bereich der Wahrheit und der Freiheit (Joh. 8,32), deren Fülle durch die Göttliche Gnade geliefert wird. Einer, der der Lehre Christi untreu ist und dem eigenen Willen und dem eigenen Verstand folgt, unterwirft sich dem Feind und geht vom Zustand der verführenden Selbsttäuschung zum Zustand der dämonischen Prelest über; er verliert den Rest seiner Freiheit und unterwirft sich vollständig dem Teufel. Die Zustände der Menschen, die in dämonischer Prelest sind, können sehr unterschiedlich sein, indem sie jeweils der Leidenschaft entsprechen, durch die der Mensch verleitet und versklavt wurde, und auch dem Ausmaß der Versklavung des Menschen durch die jeweilige Leidenschaft. Aber alle, die der dämonischen Prelest verfallen sind - also durch die eigene verführende Selbsttäuschung in eine Gemeinschaft mit dem Teufel und somit in die Sklaverei eingetreten sind - befinden sich in der Prelest, das heißt, sie sind Tempel und Instrumente der Dämonen, Opfer des ewigen Todes und verdammt zum Dasein in den Kerkern der Hölle.
Jünger: Nenne mir bitte die Arten der dämonischen Prelest, die aus falscher Gebetsübung stammt.
Starez: Alle Arten der dämonischen Prelest, denen der Gebetspraktiker unterworfen werden kann, alle Arten der dämonischen Prelest entstehen dadurch, dass in die Grundlage des Gebets keine Buße hineingelegt wird, und dass die Buße nicht zur Quelle, zur Seele, zum Zweck des Gebets geworden ist. Jeder, der sich in der Gebetsübung (Podwig des Gebets) aufgrund von etwas, was er gehört oder gelernt hat, übermäßig anstrengt, geht zugrunde als einer, der für sich keinen Leiter gewonnen hat. „Wenn jemand“, sagt der Ehrwürdige Gregor vom Sinai in dem oben erwähnten Artikel, „mit der selbstüberschätzenden Anmaßung, die sich auf Einbildung beruht, (im Original: wenn jemand träumt, mit seiner Meinung die Höhen zu erlangen („аще кто мечтает высокая со мнением доспети“)), träumt, die Zustände des hohen Gebets zu erreichen und sich nicht den wahren Eifer, sondern den satanischen angeeignet hat, den fängt der Teufel bequem mit seinen Netzen als eigenen Diener“. Jeder, der sich bemüht, zur Hochzeit des Sohnes Gottes nicht in reinen und hellen Kleidern zu erscheinen, die durch die Buße erlangt werden, sondern in seinen Lumpen, im Zustand des Alten Menschen, der Sündhaftigkeit und der verführenden Selbsttäuschung, wird hinausgeworfen in die äußere Finsternis[1], also in die dämonische Prelest. Ich rate dir, - sagt der Heiland an denjenigen, der zur mystischen Priesterschaft berufen ist, - Gold von mir zu kaufen, geläutert im Feuer, auf dass du reich werdest; und weiße Kleider, auf dass du bekleidet werdest, und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde; und Augensalbe, deine Augen zu salben, auf dass du sehen mögest. Ich überführe und züchtige, so viele ich liebe. Sei nun eifrig und tue Buße ! (Offb. 3,18-19)[2]. Die Buße und alles, woraus sie besteht, also: Zerknirschung bzw. Reue des Geistes, Weinen des Herzens, Tränen, Selbstverurteilung, Gedenken und Vorgefühl des Todes, des Gerichtes Gottes und der ewigen Qual, Empfindung der Präsenz Gottes, Gottesfurcht - all dies sind die Gaben Gottes, die Gaben, deren Preis sehr hoch ist, die Gaben, die primär und grundlegend sind, die Sicherheiten der höchsten und den ewigsten Gaben. Bevor sie erworben werden, ist eine Bescherung mit weiteren Gaben unmöglich. „Wie auch immer unsere Askese erhoben sein mag“, sagte der Heilige Johannes der Klimakos, „aber wenn wir nicht ein bereuendes Herz haben, ist diese ganze Askese sowohl falsch als auch vergeblich“ (Klimax, Teil 7). Buße, Zerknirschung des Geistes, Weinen - das sind die Zeichen, die Zeugnisse der Richtigkeit der Übung des Gebets (молитвеннаго подвига), und ihre Abwesenheit ist ein Zeichen der Abweichung in eine falsche Richtung, ein Zeichen verführender Selbsttäuschung, der Prelest oder der Fruchtlosigkeit. Beides, sowohl Prelest als auch Fruchtlosigkeit, sind unvermeidliche Folge der falschen Gebetsübung, und die falsche Gebetsübung ist von der verführenden Selbsttäuschung nicht zu trennen.
Die gefährlichste der falschen Arten des Gebets besteht darin, dass der Betende durch seine Einbildungskraft Phantasien oder Bilder ersinnt, die er anscheinend aus der Heiligen Schrift entnimmt. In der Tat entnimmt er sie aber aus seinem eigenen Zustand, seinem eigenen Fall, seiner eigenen Sündhaftigkeit, seiner eigenen Selbsttäuschung, Mit diesen Bildern schmeichelt er seiner Eingebildetheit, seinem Ehrgeiz, seiner Hochmütigkeit, seinem Stolz; er belügt sich selbst. Offenbar ist, dass alles, was durch die Träumerei unserer Natur, unserer durch den [Sünden]fall verzehrten Natur ersonnen ist, in der Tat nicht existiere - es ist Fiktion und Lüge, dem gefallenen Engel so innewohnend, von ihm so geliebt. Von seinem ersten Schritt auf dem Weg des Betens geht ein Träumer aus dem Bereich der Wahrheit heraus, er betritt den Bereich der Lüge, in den Bereich des Satans und unterwirft sich willkürlich dessen Einfluss.
Der Heilige Simeon der Neue Theologe beschreibt das Gebet eines Träumers und seine Früchte wie folgt: „Er hebt seine Arme, seine Augen und seinen Verstand zum Himmel empor, er bildet sich in seinem Versand“, - ähnlich Klopstock und Milton, - „Göttliche Ratschlüsse, himmlische Freuden, Chöre der heiligen Engel, Einsiedlungen der Heiligen, - kurz gesagt, in seiner Einbildung sammelt er alles, was er in der Heiligen Schrift gehört hat, er betrachtet das während des Betens, schaut zum Himmel empor, und bei all dem regt sich seine Seele im Sehnen und zur Liebe zum Göttlichen, manchmal vergießt er Tränen und weint. Auf diese Weise, nach und nach, wird sein Herz eingebildet, ohne dass dies vom Verstand eingesehen wird; er meint, dass das von ihm Vollzogene eine Frucht der Göttlichen Gnade sei, die zu seinem Trost diene, und er betet zu Gott darum, dass ER ihn würdige, immer in diesem Tun zu verbleiben. Dies ist ein Zeichen von Prelest. Für solch einen Menschen, auch wenn er in perfekter Schweigsamkeit verbleibt, ist es kaum möglich, dass er Geistesverwirrung und Verrücktheit entgeht. Wenn ihm das nicht geschehen sollte, ist es für ihn jedenfalls nicht möglich, die spirituellen Würden der Vernunft und der Tugend oder auch der Leidenschaftslosigkeit zu erreichen. Auf diese Weise ließen sich diejenigen verführen, die das Licht und sein Scheinen mit diesen körperlichen Augen sahen, die mit ihrem Geruchssinn liebliche Gerüche rochen, die mit ihren Ohren Stimmen hörten. Einige von denen wurden besessen und gingen, beschädigt in ihrem Verstand, von Ort zu Ort; die Anderen empfingen den Dämon, der die Gestalt des hellen Engels angenommen hatte, wurden getäuscht und blieben sogar bis zum Ende unberichtigt, ohne von einem der Brüder einen Ratschlag anzunehmen; einige von denen, vom Teufel angestiftet, töteten sich selbst: einige andere stürzten in Bergschlünde hinunter; andere erdrosselten sich. Und wer kann die verschiedenen Täuschungen durch den Teufel aufzählen, mit denen er täuscht und die unsagbar sind? Allerdings kann jeder vernünftiger Mensch aus dem, was von uns gesagt wird, lernen, welcher Schaden aus dieser Art des Gebets entsteht. Wenn aber jemand von denen, die sie praktizieren, keinem der oben genannten Unheile unterzogen wird (aufgrund dessen, dass sie mit ihren Brüdern zusammenleben, da solche Unheile meist alleine wohnenden Eremiten widerfahren), verbringt er sein ganzes Leben erfolglos“ (Über die erste Art der Aufmerksamkeit und des Gebets)
Alle heiligen Väter, welche die Übung (Podwig) des inneren Gebets beschrieben, verboten nicht nur, willkürlich Phantasien zu entwickeln, sondern warnten uns auch davor, uns den Phantasien und Erscheinungen, die uns plötzlich, unabhängig von unserem Belieben, überkommen mögen, auszuliefern. Dieses kann während der Übungen (Podwig) des Gebets geschehen, insbesondere in der Schweigsamkeit. „Nehme es keinesfalls an“, sagt der hl. Gregor vom Sinai, „wenn du etwas siehst, ob mit deinen sinnlichen Augen oder mit dem Verstand, ob innerhalb oder außerhalb dir, ob es das Bild Christi oder eines Engels oder irgendeines Heiligen ist, oder ob sich dir Licht darbietet… Sei aufmerksam und zurückhaltend! Erlaube dir nicht, solchem zu vertrauen; äußere weder Mitgefühl noch Zustimmung, traue keiner Erscheinung, auch wenn sie wahr und gütig wäre; bleibe ihr gegenüber kalt und fremd, halte deinen Verstand frei von Vorstellungen, auf dass er sich nichts einbilde und von keinem Bild vereinnahmt werde. Einer, der etwas in Gedanken oder sinnlich gesehen hat, auch wenn es von Gott wäre, und dies voreilig annimmt, verfällt leicht in Prelest; zumindest zeigt er seine Neigung und Fähigkeit zur Prelest auf, als einer, der Erscheinungen voreilig und leichtsinnig annimmt. Ein Neueinsteiger soll seine gesamte Aufmerksamkeit nur auf die Wirkung in seinem Herzen richten; nur diese Wirkung soll er für nicht-täuschend (nicht-prelesthaft) halten - den Rest soll er nicht annehmen, bevor er in die Leidenschaftslosigkeit eintritt. Gott erzürnt sich nicht über diejenigen, die, indem sie sich vor der Prelest fürchten, sich mit größter Vorsicht beobachten; und auch wenn sie etwas, was von Gott gesandt ist, nicht annehmen, bevor sie das Gesandte mit aller Sorgfalt betrachtet haben, lobt Gott solche sogar für ihre Vernünftigkeit.“ (Quelle s. oben)
Der Heilige Amphilochius, der noch in seiner Jugend ins Mönchstum eintrat, wurde in seinen reiferen Jahren und im Alter gewürdigt, das Leben eines Eremiten in der Wüste zu führen. Er zog sich in eine Höhle zurück, übte sich in Schweigsamkeit und erreichte große Fortschritte. Als vierzig Jahre seines Lebens als Eremit vollendet waren, erschien ihm in der Nacht ein Engel und sprach: „Amphilochius! Gehe in die Stadt und weide die geistlichen Schafe.“ Amphilochius blieb weiterhin auf sich selbst konzentriert und schenkte der Anordnung des Engels keine Aufmerksamkeit. In der nächsten Nacht erschien der Engel erneut und wieder holte die Anordnung und fügte hinzu, dass sie von Gott komme. Und wieder übte Amphilochius ihm gegenüber keinen Gehorsam, da er fürchtete, verleitet zu werden, und sich an die Worte des Apostels erinnerte, dass auch der Satan die Gestalt des Engels des Lichtes annimmt (2 Kor. 11,14). In der dritten Nacht erschien der Engel wieder, und indem er sich durch die Lobpreisung des Herrn identifizierte, welche für ausgestoßene Geister unsagbar ist, nahm er die Hand des Starzen, brachte ihn aus seiner Zelle heraus und zur naheliegenden Kirche. Die Kirchentüren öffneten sich von selbst. Die Kirche wurde von einem himmlischen Licht beleuchtet, und darin waren viele heilige Männer in weißen Gewändern, und ihre Gesichter waren wie die Sonne. Sie weihten Amphilochius zum Bischof der Stadt Ikonien. (Menäon für den 23. Novembertag)
- Im Falle des entgegengesetzten Verhaltens brachten die hl. Isaak und Nikita vom Kiewer Höhlenkloster, die im Eremitenleben neu und unerfahren waren, über sich ein grausamstes Übel, nachdem sie sich einer Erscheinung unbedacht anvertrauten. Dem Ersten erschien eine Menge von illuminierten Dämonen; einer der Dämonen nahm die Gestalt Christi an, und die anderen die Gestalt der heiligen Engel. Den Zweiten verführte der Dämon zunächst durch den Wohlgeruch und die Stimme, die göttlich wirkte, und dann erschien er ihm sichtbar in Gestalt eines Engels (Paterikon vom Kiewer Höhlenkloster). Die im monastischen Leben erfahrenen Mönche, die wahrlich heiligen Mönche fürchten sich viel mehr vor der Prelest, viel weniger vertrauen sie sich selbst als die Neulinge, insbesondere diese, die vom fieberhaften Streben nach Askese (Podwig) befallen sind. Mit herzlicher Liebe warnte der hl. Mönch Gregor vom Sinai einen Schweiger, für den er sein Buch geschrieben hatte, vor der Prelest: „Ich möchte, dass du über die Prelest eine bestimmte Vorstellung hast, damit du dich vor ihr hüten kannst, und damit du dir bei deinen Bestrebungen, die noch nicht durch das notwendige Wissen erleuchtet sind, nicht größten Schaden antuest und deine Seele verlierst. Das freie Belieben des Menschen neigt leicht zur Gemeinschaft mit unseren Gegnern, insbesondere das Belieben der Unerfahrenen und der Neulinge in der Askese (Podwig), da sie noch von Dämonen beherrscht werden.“ Wie wahr ist das! Unser freies Belieben neigt zur Prelest, es ist von ihr angezogen, da jede Prelest unserer Anmaßung, unserem Ehrgeiz und unserem Stolz schmeichelt. „Die Dämonen befinden sich in der Nähe der Neulinge und Eigenwilligen, wobei sie Netze von Gedanken und todbringenden Phantasien auswerfen und Fallgruben bauen. Die Stadt der Neulinge - ihr ganzes Wesen also - befindet sich immer noch in der Herrschaft der Barbaren… Gebe dich nicht aus Leichtsinn jedem hin, das sich dir vorstellt, sondern verbleibe, indem du das Gütige mit viel Nachsinnen behältst und das Lügnerische ablehnst… Wisse, dass die Wirkungen der Gnade klar sind; ein Dämon kann sie nicht spenden: er kann weder Sanftmut, noch Stille, noch Demut, noch Hass auf die Welt spenden; er zähmt weder Leidenschaft noch Lüsternheit, wie die Gnade es tut“. Seine Wirkungen sind: „Eingebildetheit“, - also Arroganz, Überheblichkeit – „Hochmütigkeit, Beängstigung, also alle Arten der Bosheit. An seiner Wirkung kannst du das Licht erkennen, das in deiner Seele erscheint - ob es von Gott ist oder vom Satan.“ (Philokalie) Man muss wissen, dass so ein Nachsinnen den fortgeschrittenen Mönchen zugehört, nicht aber den neu eingestiegenen. Auch wenn der Gregor vom Sinai mit den neu Eingestiegenen spricht, sind sie bezüglich des Leben in Schweigsamkeit neu eingestiegen; einer von denen, der sowohl nach seinem Verbleiben im Mönchstum als auch nach dem körperlichen Alter ein Starez war, so wie es aus dem Buch sichtbar ist.
Jünger: Ist es dir schon einmal geschehen, dass du jemanden gesehen hast, der wegen Schwärmerei während der Gebetsübungen in eine dämonische Prelest geraten war?
Starez: Ja, das ist mir geschehen. Ein Beamter, der in St. Petersburg wohnte, trieb intensive Gebetsübungen und geriet deswegen in einen ungewöhnlichen Zustand. Über seine Übungen und ihre Folgen berichtete er dem damaligen Erzpriester der Gottesmutter-Obhut-Kirche, die sich im Stadtteil Kolomna befindet. Dieser Erzpriester, der ein Kloster der St. Petersburger Diözese besuchte, bat einen Mönch dieses Klosters, mit dem Beamten zu sprechen. „Die bizarre Lage, in die der Beamte wegen seiner Übungen kam“, sprach der Priester zu Recht, „kann am passendsten von den Klosterbewohnern erklärt werden, da diese mit den Einzelheiten und Zufälligkeiten der asketischen Übung am besten vertraut sind.“ Der Mönch war einverstanden. Nach einer gewissen Zeit besuchte der Beamte dieses Kloster. Bei seinem Gespräch mit dem Mönch war auch ich anwesend. Der Beamte fing sofort an, von seinen Visionen zu sprechen - dass er beim Gebet ständig Licht an den Ikonen sehe, einen Wohlgeruch wahrnehme, eine außerordentliche Süße im Munde verspüre und so weiter. Nachdem der Mönch diesen Bericht gehört hatte, fragte er den Beamten: „Hatten Sie schon einmal den Gedanken, sich umzubringen?“ – „Und ob!“, antwortete der Beamte, „einmal habe ich mich schon in die Fontanka geworfen, aber man hat mich wieder herausgezogen.“ Es stellte sich heraus, dass der Beamte die vom Heiligen Simeon beschriebene Art des Gebets angewandt und sein Einbildungsvermögen und Blut dadurch sehr erhitzt hatte, wobei der Mensch zu intensivem Fasten und Wachen fähig wird. Diesem Zustand der willkürlich gewählten Selbsttäuschung hatte der Teufel seine Wirkung, die diesem Zustand verwandt ist, hinzugefügt, und die menschliche Selbsttäuschung war in eine deutliche Prelest übergegangen. Der Beamte habe das Licht mit seinen körperlichen Augen gesehen; den Wohlgeruch und die Süße, die er verspürt habe, waren ebenfalls sinnlich. Im Gegensatz dazu sind die Visionen der Heiligen und ihre übernatürlichen Zustände rein spirituell (Heiliger Isaak der Syrer, Homilie 55). Ein geistlicher ist dazu erst fähig, wenn die Augen seiner Seele durch die Göttliche Gnade geöffnet wurden, wie auch die anderen Gefühle der Seele, die bis dahin in Stillstand verblieben waren (Heiliger Simeon der Neue Theologe, Homilie über den Glauben): an der segenspendenden Vision nehmen auch die körperlichen Gefühle der Heiligen teil, aber erst dann, wenn der Körper vom leidenschaftlichen Zustand in den leidenschaftslosen Zustand übergeht. Der Mönch begann, den Beamten davon zu überzeugen, die bisher angewandte Art des Gebets sein zu lassen, indem er sowohl die Unrichtigkeit dieses Weges als auch die Unrichtigkeit des aus diesem Weg sich ergebenden Zustands erklärte. Der Beamte widersetzte sich diesem Ratschlag allerdings mit Verbitterung: „Wieso sollte ich auf das verzichten, was deutlich die Gnade ist?“
Während ich mir die Selbsterzählungen des Beamten anhörte, verspürte ich ihm gegenüber ein unsagbares Mitleid, und zugleich kam er mir irgendwie lächerlich vor. Zum Beispiel stellte er dem Mönch folgende Frage: „Wenn sich mir im Mund von der ergiebigen Süße die Spucke vermehrt, beginnt sie, auf den Boden zu tropfen: Ist das nicht sündhaft?“ Genau: diejenigen, die sich in der dämonischen Prelest befinden, erwecken Mitleid mit sich selbst, weil sie sich selbst nicht gehören und mit ihrem Verstand und Herzen in der Gefangenschaft des lügnerischen, verstoßenen Geistes befinden. Sie geben von sich aus auch ein lächerliches Bild ab: sie werden von dem lügnerischen Geist ausgelacht, der sie beherrscht, der sie in die Erniedrigung zwingt, indem er sie durch Ehrgeiz und Hochmut verführt hat. Die Verführten, die sich in Prelest befinden, begreifen weder ihre Gefangenschaft noch die Seltsamkeit ihres Verhaltens, wie offensichtlich diese Gefangenschaft und diese Verhaltensseltsamkeit auch immer wäre. Den Winter 1828/29 verbrachte ich im Ploschanskaja-Pustyn-Kloster (in der Orlow-Diözese). Damals lebte dort ein Starez, der sich in Prelest befunden hatte. Er hatte sich die Hand abgehackt, da er dadurch das evangelische Gebot zu erfüllen erhofft hatte, und hatte jedem erzählt, dass sie im St.-Simon-Kloster zu Moskau pietätvoll aufbewahrt und geehrt würde und dass er, dieser Starez, während er sich im Ploschanskaja-Pustyn-Kloster befindet, das vom St.-Simon-Kloster fünfhundert Werst entfernt ist, verspüre, wenn der Archimandrit und die Brüder des Simon-Klosters diese seine Hand küssten. Der Starez war ins Zittern geraten, wobei er auch angefangen hatte, sehr laut zu zischen. Er hatte diese Erscheinung für eine Frucht des Gebets gehalten: aber den Zuschauern war sie wie eine Perversion vorgekommen, die nur Mitleid und Gelächter verdiente. Die Kinder, die als Waisen im Kloster lebten, hatten sich über diese Erscheinung amüsiert und sie vor den Augen des Starzen nachgeahmt. Der Starez hatte sich entzürnt, er hatte diesen oder jenen Jungen angegriffen und an den Haaren gezogen. Keiner der ansehnlichen Mönche des Klosters hatte es geschafft, den Verführten zu überzeugen, dass er sich in einem irrigen Zustand, in einer seelischen Störung befunden hatte.
Als der Beamte wegging, fragte ich den Mönch: „Wieso hast du den Beamten nach dem Selbstmordversuch gefragt?“ Der Mönch antwortete: „So wie inmitten der Tränen des Sehnens nach Gott Minuten der besonderen Beruhigung des Gewissens kommen, worin der Trost der Weinenden besteht, so kommen auch inmitten des irrigen Genusses, der mit der dämonischen Prelest geliefert wird, Minuten, in denen sich die Prelest quasi entblößt und sich so kosten lässt, wie sie ist. Diese Minuten sind grausam! Ihre Bitterkeit und die mit dieser Bitterkeit erzeugte Verzweiflung sind unerträglich. Nach diesem Zustand, in die die Prelest bringt, wäre es für den Verleiteten am einfachsten, sie zu erkennen, und Maßnahmen zur Selbstheilung zu ergreifen. O Weh! Der Anfang der Prelest ist der Stolz, und ihre Frucht ist noch üppigerer Stolz. Ein Verleiteter, der sich in Prelest befindet, hält sich für ein Gefäß der Göttlichen Gnade; er verachtet die heilsamen Warnungen seiner Nächsten, wie schon der Heilige Simeon angemerkt hatte. Inzwischen werden die Anfälle der Verzweiflung immer stärker, und schließlich verwandelt sich die Verzweiflung in Geistesverwirrung und wird gekrönt durch Selbstmord. – Anfang dieses Jahrhunderts hatte sich in der St.-Sophronius-Pustyn-Kloster (der Diözese von Kursk) der Schema-Mönch Theodosius, der durch sein strenges und erhabenes Leben den Respekt der Brüder und der Laien erworben hatte, in Askese geübt. Einmal schien es ihm, dass er ins Paradies entrückt worden sei. Nachdem die Erscheinung vorbei gewesen war, war er zum Vorsteher gegangen, hatte ihm ausführlich über das Wunder berichtet und dabei auch Mitleid geäußert, dass er im Paradies nur sich selbst und keinen seiner Brüder gesehen hatte. Diese Tatsache war der Aufmerksamkeit des Vorstehers nicht entgangen: er hatte die Brüder zusammengerufen, ihnen voller Zerknirschung des Geistes über die Vision des Schema-Mönchs berichtet und ermahnte sie, ein eifrigeres und gottgefälligeres Leben zu führen. Nach einer Weile hatten sich im Verhalten des Schema-Mönchs einige Seltsamkeiten zu zeigen begonnen. Schließlich wurde er in seiner Zelle von eigener Hand erhängt aufgefunden.
Mir geschah einmal folgender bemerkenswerter Fall. Ich wurde von einem Schema-Mönch aus Athos besucht, der in Russland Spenden sammelte. Wir setzten uns in meine vordere Zelle, und er begann zu erzählen: „Bete für mich, Vater, da ich viel schlafe und viel esse.“ Während er mir das sagte, verspürte ich die Hitze, die von ihm ausging; daher antwortete ich ihm: „Weder schläfst du noch isst du viel, aber gibt es in dir nicht etwas Besonderes?“. Und ich bat ihn, in meine innere Zelle hineinzukommen. Während ich vor ihm herging und die Tür zur inneren Zelle öffnete, bat ich Gott in Gedanken darum, ER möge meiner dürstenden Seele ermöglichen, von diesem Priester und Schemamönch aus Athos geistlichen Gewinn zu erhalten, falls er ein wahrer Knecht Gottes sei. Genau: ich bemerkte an ihm etwas Besonderes. In der inneren Zelle setzten wir uns zum Gespräch, und ich begann ihn zu bitten: „Gewähre mir eine Gnade: lehre mich beten. Du lebst in dem monastischen Ort, der auf Erden der Erste ist, mitten unter Tausenden von Mönchen: an einem Ort, wo so viele Mönche sich versammelt haben, müssen sich sicherlich die größten Beter befinden, die das geheime innere Tun des Gebets kennen und es ihren Nächsten beibringen, nach dem Vorbild von Gregor dem Sinait, Gregor Palamas und viele andere Athos-Leuchten“. Der Priester-Schemamönch stimmte sofort zu, mein Lehrer zu werden - was für ein Schreck! Höchst erhitzt begann er, mir die oben genannte Methode des exaltierten, verträumten Gebets zu vermitteln. Ich sah, dass er sich in grässlicher Erhitzung befand, dass bei ihm sowohl das Blut als auch das Einbildungsvermögen erhitzt waren, und dass er sich also in Selbstgefälligkeit, in Selbstentzückung, in Selbstverführung, in Prelest befand! Nachdem ich ihn hatte aussprechen lassen, begann ich nach und nach, in der Art eines gelehrigen Schülers, ihm die Lehre der heiligen Väter über das Gebet vorzustellen, wobei ich sie in der Philokalie aufzeigte und ihn bat, mir diese Lehre zu erklären. Der Athonit wurde ganz konfus. Ich sah, dass ihm die Lehre der Väter über das Gebet recht wenig vertraut war. Unser Gespräch ging weiter, und ich sagte ihm: „Siehe zu, Starez, dass du, während du in St. Petersburg wohnst, keinesfalls eine Wohnung im oberen Geschoss nimmst; nimm unbedingt eine Wohnung im Untergeschoss.“ „Warum?“, fragte der Athonit. „Damit die Engel“, - antwortete ich, „falls sie auf die Idee kommen sollten, dich zu entrücken und von St. Petersburg nach Athos zu bringen, und sie dich aus dem Obergeschoß tragen und doch fallen lassen, du zu Tode stürzen würdest; wenn sich dich aber aus dem Untergeschoss tragen und fallen lassen, wird es dir nur ein wenig weh tun.“ „Stell dir vor“, sagte der Athonit, „ schon mehrmals kam mir, während ich betete, der lebhafte Gedanke, dass Engel mich entrückten und nach Athos brächten!“ Es stellte sich heraus, dass der Priester-Schemamönch Fesseln trug, fast gar nicht schlief, sehr wenig Essen zu sich nahm und im Körper derartige Hitze verspürte, dass er im Winter keine warme Kleidung brauchte. Zum Ende des Gesprächs kam mir der Gedanke, den Athoniten zu bitten, als Faster und geistlicher Vorkämpfer an sich die Methode auszuprobieren, die von den heiligen Vätern überliefert ist und darin besteht, dass sich der Verstand während des Gebets jeglicher Schwärmerei enthalte und sich ganz in die Worte des Gebets versenke; dass er sich, nach dem Ausspruch des Heiligen Johannes Klimakos, in die Worte des Gebets einschließt und einnistet (Klimax. Wort 28, Kap. 17). Dabei steht das Herz normalerweise dem Verstand durch das heilsame Gefühl der Trauer über die eigenen Sünden bei, so wie der Heilige Mönch Markus der Asket gesagt hatte: „Der Verstand, der unabgelenkt betet, engt das Herzen ein: und ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wird Gott nicht verachten (Ps. 51,19; Kapitel, über jene, die meinen, aus Werken gerechtfertigt zu werden, Kapitel 34, Philokalie, Band 1). „Nachdem du es bei dir erprobt hast“, sagte ich dem Athoniten, „gebe auch mir über die Frucht deiner Erfahrung Bescheid; für mich selbst ist eine solche Erfahrung nicht bequem, da ich ein zerstreutes Leben führe.“ Der Athonit ließ sich auf meinen Vorschlag gerne ein. Nach einigen Tagen kam er zu mir und sagte: „Was hast du mit mir gemacht?“ – „Was denn?“ – „Tja, als ich probierte, mit Aufmerksamkeit zu beten und dabei den Verstand in die Worte des Gebets einzuschließen, sind all meine Visionen verschwunden, und ich kann nicht mehr zu ihnen zurückkehren“. Ferner sah ich im Gespräch mit dem Athoniten keine Anmaßung und Hochmut mehr, die bei unserem ersten Treffen noch so sichtbar gewesen waren und üblicherweise in Leuten sichtbar sind, die sich in verführerischer Selbsttäuschung befinden und sich für heilig oder spirituell fortgeschritten halten. Der Athonit äußerte sogar den Wunsch, sich meinen armseligen Ratschlag anzuhören. Als ich ihm riet, sich in seinem äußeren Lebensstil von den anderen Mönchen nicht zu unterscheiden, da solches Unterscheiden zu Hochmut führe (Klimax. Wort 4, Kap. 82, 83. hl. Mönch Barsonuphios der Große. Antwort 275. Die Vita und die Belehrungen des hl. Mönches Apollos. Alphabetisches Paterikon), legte er seine Fesseln ab und gab sie mir. Einen Monat später war er wieder bei mir und sagte, dass er keine Hitze mehr im Körper habe, warme Kleidung benötige und viel mehr schlafe. Dabei sagte er, dass auf dem Berg Athos viele, auch von denen, die den Heiligkeitsruhm haben, die Gebetsmethode praktizieren, die auch er praktiziert habe, und sie auch den Anderen beibringen. Dies ist auch nicht erstaunlich! Der Heilige Simeon der Neue Theologe hatte acht Jahrhunderte vor unserer Zeit gesagt, dass nur sehr Wenige das aufmerksame Gebet üben (Über die dritte Form des Gebets. Philokalie, Teil 1). Als der hl. Mönch Gregor der Sinait, der im 14. Jahrhundert nach Geburt Christi lebte, auf dem Berg Athos ankam, fand er, dass viele Mönche keine Ahnung über das innere Gebet hatten und nur die körperliche Askese übten, wobei die Gebete mündlich und laut verlesen wurden (s. die Vita des hl. Gregor dem Sinaiten. Philokalie, Teil 1). Der hl. Mönch Nilus von Sora, der Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts lebte und auch den Berg Athos besuchte, sagte, dass in seiner Zeit die Anzahl aufmerksamer Beter sich extrem verringert habe (Vorwort der Überlieferung des Skitenstatuts). Der Starez Archimandrit Paisij (Welitschkowski) zog 1747 von Moldawien auf den Berg Athos. Er machte sich rasch mit allen Klöstern und Skiten bekannt und sprach mit vielen Starzen, die nach einhelliger Meinung des Heiligen Berges als die erfahrensten und heiligsten Mönche galten. Als er aber anfing, diese Mönche nach den Büchern der Heiligen Väter, die über das innere Gebet geschrieben hatten, zu fragen, stellte sich heraus, dass sie nicht nur von der Existenz dieser Schriften nichts wussten, sondern nicht einmal die Namen der heiligen Schriftsteller kannten; damals gab es die Philokalie nicht auf Griechischen Sprache gedruckt (Ein Abschnitt aus einem Brief des Starzen Paisij an den Starzen Theodosius. Die Schriftwerke Paisijs. Ausgabe des Optina-Pustyn-Klosters).
Das aufmerksame Gebet bedarf der Selbstverleugnung, und zur Selbstverleugnung entscheiden sich nur Wenige. Einer, der in seiner Aufmerksamkeit in sich selbst eingeschlossen ist, der angesichts der eigenen Sündhaftigkeit erschrickt, und zur Weitschweifigkeit und generell zu Effekt und Schauspielerei nicht fähig ist, kommt denen, die keine mystische Askese (Podwig) kennen, irgendwie seltsam, rätselhaft und in jeder Hinsicht mangelhaft vor. Ob es leicht fällt, sich von der Meinung dieser Welt zu verabschieden? Und was die Welt betrifft: wie kann sie einen Vorkämpfer des Wahren Gebets erkennen, wenn diese Askese (Podwig) der Welt gar nicht bekannt ist? Ganz anders geht es einem, der sich in verführerischer Selbsttäuschung befindet! Er isst nicht, und er trinkt nicht; im Winter läuft er bloß im Talar; er trägt Fesseln, hat Visionen, belehrt und bezichtigt alle frech und dreist, ohne jegliches Recht, ohne Sinn und Zweck, in körperlicher, leidenschaftlicher Hitze des Blutes und aufgrund dieser bitterlichen, todbringenden Erhitzung. Er ist heilig, natürlich! Seit langem ist das Streben danach in der menschlichen Gesellschaft sichtbar. Denn ihr ertraget es, schrieb Apostel Paulus an die Korinther, wenn jemand euch knechtet, wenn jemand euch aufzehrt, wenn jemand von euch nimmt, wenn jemand sich überhebt, wenn jemand euch ins Gesicht schlägt (2 Kor. 11,20). Weiter sagte der Heilige Apostel, dass er, während er in Korinth gewesen war, sich weder frech noch dreist verhalten konnte: sein Verhalten war von Bescheidenheit, Sanftmut und Gelindigkeit geprägt (2.Kor. 10:1). Der größte Teil der geistlichen Glaubenskämpfer der Westkirche, die als große Heilige angesehen werden, haben, nachdem sie von der Ostkirche abgefallen waren und der Heilige Geist sich von ihnen abgewandt hatten, auf die oben beschriebene Weise gebetet und Visionen erlebt, die freilich falsch gewesen waren. Diese angeblichen Heiligen befanden sich in schrecklicher, dämonischer Prelest. Die Grundlage, auf der Prelest natürlicherweise beruht, ist die Blasphemie, durch die der dogmatische Glaube bei den Häretikern verzerrt ist. Das Verhalten der von der Prelest befallenen geistlichen Vorkämpfer der Römischen Kirche war schon immer exaltiert, und zwar aufgrund der außergewöhnlichen körperlichen, leidenschaftlichen Erhitzung. In einem solchen Zustand befand sich Ignatius Loyola, der Stifter des Jesuitenordens. Sein Einbildungsvermögen war so erhitzt und ausgeklügelt, dass ihm ohne Mühe sofort die Hölle oder das Paradies erschien, je nach seinem Wunsch. Die Erscheinungen des Paradieses bzw. der Hölle vollzog sich nicht durch die Wirkung des menschlichen Einbildungsvermögen allein; sondern vollzog sich durch die Wirkung der Dämonen, die ihre Wirkung der unzureichenden Wirkung des Menschen hinzufügten; diese Wirkungen miteinander verbanden, so dass sie sich ergänzten, und das auf der Grundlage des freien Willens eines Menschen, der eine falsche Richtung gewählt und sich angeeignet hatte. Es ist bekannt, dass den wahren Heiligen ihre Visionen ausschließlich durch das Wohlwollen Gottes und die Wirkung Gottes zuteilwerden, und nicht nach eigenem Willen und Belieben beschert - und zwar unerwartet, äußerst selten, in besonderen Notfällen, nach der himmlischen Vorsehung Gottes und nicht zufällig (Hl. Isaak der Syrer. Homilie 36). Die verstärkte Askese (Podwig) derjenigen, die sich in Prelest befinden, steht normalerweise der tiefen Unsittlichkeit nahe. Diese Unsittlichkeit entspricht der Stärke der Flammen, die den Verführten verzehrt. Dies wird auch durch die Geschichte und das Zeugnis der Väter bestätigt. „Einer, der den Geist der Prelest“ (in den von ihm dargestellten Erscheinungen) sieht“, sagte der hl. Mönch Maximus der Kavsokalivit, „verfällt häufig der Wut und dem Zorn; der Wohlgeruch der Demut oder des Gebets, oder auch der wahren Tränen, hat in ihm keinen Platz. Im Gegenteil prahlt er ständig mit seinen Tugenden, ist eingebildet und gibt sich seinen lügnerischen Leidenschaften stets ohne Angst hin (Das Gespräch des hl. Maximus mit dem hl. Gregor vom Sinai).
Jünger: „Die Unrichtigkeit dieser Art des Gebets und ihre Verbindung mit der verführenden Selbsttäuschung sind mir nun klar. Bitte belehre mich auch über die anderen Arten unrichtigen Gebets und das mit ihnen verbundene falsche Denken.
Starez: So wie falsches Tun durch den Verstand in verführerische Selbsttäuschung und Prelest hineinführt, so verhält es sich auch mit falschem Tun durch das Herz. Von unvernünftigem Stolz erfüllt ist der Wunsch und das Streben, spirituelle Visionen mit dem Verstand zu sehen, der nicht durch den Arm des Heiligen Geistes von Leidenschaften bereinigt, erneuert und wiederhergestellt ist: von selbem Stolz und selber Unvernunft ist der Wunsch und das Streben des Herzens, heilige, spirituelle, göttliche Empfindungen zu genießen, wenn es zu solchen Genüsse noch gar nicht fähig ist. So wie ein unreiner Verstand, der Göttliche Visionen sehen will und aber gar keine Möglichkeit hat, sie zu sehen, von sich aus Visionen erdenkt und sich mit ihnen betrügt und täuscht, so auch das Herz, das sich bemüht, göttliche Wonne und andere göttliche Empfindungen zu kosten und sie in sich nicht vorfindet, solche von sich aus erfindet und sich damit schmeichelt, verführt, betrügt und vernichtet, indem es in den Bereich der Lügen und die Gemeinschaft mit Dämonen gerät, sich deren Einfluss unterwirft und sich von ihnen versklaven lässt.
Unter allen Empfindungen des Herzens in seinem gefallenen Zustand gibt es nur eine Empfindung, die im unsichtbaren Gottesdienst nützlich ist, nämlich Trauer über die Sünden, die Sündigkeit und den eigenen Niedergang, was sich als Weinen, Buße und Zerknirschung des Geistes äußert. Das ist durch die Heilige Schrift bezeugt. Denn du hast keine Lust an Schlachtopfern, sonst gäbe ich sie; an Brandopfern hast Du kein Wohlgefallen [Ps. 51,18]: und jede einzelne Herzensempfindung, sowie auch sie alle zusammen sind Dir nicht wohlgefallend, also solche, die mit der Sünde besudelt und durch den Sündenfall verdorben. Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist; ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten. [Ps. 51,19]. Dieses Opfer ist ein negierendes Opfer; mit seiner Opferung werden alle anderen Opferungen überflüssig, und bei der Empfindung der Buße werden alle anderen Empfindungen still. Damit die Opfer aller anderen Empfindungen gottgefällig werden, muss das Wohlgefallen Gottes sich auf unseren Zion ergießen, müssen die Wände unseres zerstörten Jerusalems wiedererrichtet werden. Der Herr ist gerecht, allheilig, und nur gerechte und reine Opfer, zu denen die menschliche Natur nach ihrer Erneuerung fähig ist, sind dem gerechtem und allheiligen Gott wohlgefällig. An besudelten Hingaben und Brandopfern hat ER kein Wohlgefallen. Mögen wir uns darum kümmern, dass wir uns durch die Buße reinigen! Dann wirst du Lust haben an Opfern der Gerechtigkeit, an Brandopfern und Ganzopfern; dann wird man Farren opfern auf deinem Altar [Ps. 51,20], nämlich die neugeborenen Empfindungen des vom Heiligen Geist erneuerten Menschen.
Das erste Gebot, das vom Heiland der Welt der gesamten Menschheit ohne Ausnahme gegeben wurde, ist das Gebot der Buße. Von da an begann Jesus zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen! (Mt. 4,17). Dieses Gebot umfasst, enthält und vereinbart in sich alle restlichen Gebote. Den Menschen, die die Bedeutung und der Kraft der Buße nicht verstanden, sagte der Heiland oft: Gehet aber hin und lernet, was das ist: „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer“ (Mt. 9,13). Das bedeutet, dass der Herr, indem ER seine Barmherzigkeit gegenüber den gefallenen und untergegangenen Menschen äußerte, allen die Buße als das einzige Mittel zum Heil bescherte, weil alle von Sündenfall und Niedergang umfangen sind. ER fordert von ihnen keine Opfer ein, zu denen sie unfähig sind; nicht einmal will ER diese Opfer, sondern wünscht, dass sie sich selbst gegenüber barmherzig werden, sich über ihre eigene Katastrophe bewusst werden und sich daraus durch die Buße erlösen. Den erwähnten Worten fügte der Herr noch die schrecklichen Worte hinzu: Denn ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder. Wer wird „Gerechter“ genannt? Die armen und blinden Sünder, die durch den Eigendünkel betrogen sind, die Buße für sich als unnötig erachten und sie daher entweder verleugnen oder sich nicht darum kümmern. O weh! Dafür wendet sich der Heiland von ihnen ab, und der Schatz des Heils geht ihnen verloren. „Weh der Seele“, sagte der hl. Makarios der Große, „die ihre Geschwüre nicht verspürt und wegen ihrer großen unmäßigen Beschädigung durch die Bosheit von sich glaubt, dass ihr die Beschädigung durch Bosheit fremd sei. Solch eine Seele wird vom gütigen Arzt schon nicht mehr besucht, nicht mehr geheilt, da sie ihre Geschwüre willkürlich ohne Fürsorge gelassen hat und sich gesund und makellos wähnt. Die Starken bedürfen nicht eines Arztes, sondern die Kranken - sagt Er.“ (Mt. 9,12; Homilie 6. Über die Liebe, Kap. 16).
Die Verleugnung der Buße ist eine schreckliche Brutalität sich selbst gegenüber! Die Vernachlässigung der Buße ist eine schreckliche Kälte, Nicht-Liebe zu sich selbst. Einer, der zu sich selbst brutal ist, kann nicht vermeiden, auch zu seinen Nächsten brutal zu sein. Einer, der durch die Annahme der Buße sich gegenüber barmherzig geworden ist, wird damit auch zu seinen Nächsten gnädig. Daraus ist die ganze Wichtigkeit des Fehlers sichtbar, der darin besteht, dem Herzen das Gefühl der Buße, das ihm durch Gott selbst geboten wird und für das Herz wesentlich und logisch ist, zu nehmen, und sich darum zu bemühen, dass im Herzen, der Ordnung entgegen, der Festlegung Gottes entgegen, jene Gefühle sich öffnen, die darin nach der Reinigung durch die Buße von selbst aufscheinen müssen, dabei aber einen anderen Charakters haben werden (Hl. Isaak der Syrer, Homilie 55). Über diesen geistlichen Charakter kann sich ein fleischlicher Mensch kein Bild machen, da ein Bild immer auf dem Herzen bereits bekannten Empfindungen beruht, doch die geistlichen Empfindungen dem Herzen, das nur mit fleischlichen und seelischen Empfindungen bekannt ist, durchaus fremd sind. Solch ein Herz weiß nicht einmal von der Existenz geistlicher Empfindungen.
Es ist allen bekannt, was für eine Seelenplage den jüdischen Schriftgelehrten und Pharisäern aus ihrer falschen Seelenhaltung entstanden war: sie waren nicht nur Gott fremd, sondern auch zu seinen rasenden Feinden und sogar Gottesmördern geworden. Dieser Plage werden auch die Vorkämpfer des Gebets unterworfen, die aus ihren Übungen [Podwigen] die Buße herausgeworfen haben, die sich bemühen, im Herzen die Liebe zu Gott zu erregen, die sich anstrengen, den Genuss, die Entzückung zu verspüren; sie fallen immer tiefer, machen sich Gott fremd, treten in die Gemeinschaft mit dem Satan ein und verseuchen sich mit dem Hass zum Heiligen Geist. Diese Art von Prelest ist entsetzlich: sie ist ebenso seelentötend wie die erste, aber weniger deutlich; sie endet zwar selten in Wahnsinn und Selbstmord, aber verdirbt entschieden sowohl den Verstand als auch das Herz. Wegen der durch sie erzeugten Verstandesverfassung haben sie die Väter „Meinung“[3] genannt (Hl. Gregor vom Sinai. Wort 108, 128. Philokalie, Teil 1. Hl. Johannes von Karpathos. Kap. 49, Philokalie[4], Teil 4). Auf diese Art von Prelest wies Apostel Paulus hin, als er sagte: „Lasst niemanden euch um den Kampfpreis bringen, der seinen eigenen Willen tut in Demut und Anbetung der Engel, indem er auf Dinge eingeht, die er nicht gesehen hat, eitler Weise aufgeblasen von dem Sinne seines Fleisches“ (Kol. 2,18). Einer, der von dieser [Art von] Prelest besessen ist, wähnt über sich, er habe eine „Meinung“ über sich ausgedacht, dass er über viele Tugenden und Würden, und sogar über reichlich Charisma des Heiligen Geistes verfüge. Diese Meinung stellt sich aus falschen Begriffen und falschen Empfindungen zusammen: mit dieser ihrer Eigenschaft gehört sie voll zum Gebiet des Vaters und Vertreters der Lügen – des Teufels. Ein [solcherart] Betender, der es anstrebt, in seinem Herzen die Empfindungen des neuen Menschen[5] zu öffnen und dazu keine Möglichkeit hat, ersetzt sie durch Empfindungen, die von ihm ausgedacht, gefälscht sind und denen sich die gefallenen Geister ohne Zögern anschließen. Nachdem er diese falschen Empfindungen, die eigenen und die dämonischen, für wahr und segensspendend hält, kommt er auf die den Empfindungen entsprechenden Begriffe. Diese Empfindungen, die dem Herzen ständig zu eigen gemacht werden und sich in ihm verstärken, nähren und vermehren die falschen Begriffe, und es ist natürlich, dass von solcher falschen Askese (Podwig) die verführende Selbsttäuschung und die dämonische Prelest – die „Meinung“ – entsteht. „Die Meinung lässt das Gemeinte nicht sein“, sagte Simeon der Neue Theologe (am Ende der 4. Homilie; vgl. auch 3. Homilie). Einer, der leidenschaftslos zu sein meint, wird sich nie von den Leidenschaften befreien; einer, der von Gnade erfüllt zu sein meint, wird die Gnade nie erlangen; einer, der heilig zu sein meint, wird die Heiligkeit nie erreichen. Um es einfach zu sagen; einer, der sich geistliches Tun, Tugenden und segensreiches Charisma zuschreibt, der sich schmeichelt und sich mit seiner „Meinung“ amüsiert, versperrt mit dieser „Meinung“ sowohl dem geistlichen Tun als auch den christlichen Tugenden und der Gnade Gottes den Eingang in sich - und öffnet breit den Eingang für Sündenseuche und Dämonen. Die mit der „Meinung“ Verseuchten verfügen über keinerlei Fähigkeit zum geistlichen Gedeihen: sie haben diese Fähigkeit vernichtet, indem sie auf dem Altar der Lüge die eigentlichen Grundprinzipien der menschlichen Wirksamkeit und seines Heils, nämlich die Begriffe der Wahrheit, geopfert haben. Bei den an dieser [Art von] Prelest Erkrankten scheint die außergewöhnliche Überheblichkeit auf: sie sind quasi von sich selbst, von ihrem Selbsttäuschungszustand berauscht, in dem sie einen segensreichen Zustand sehen. Sie sind mit Hochmut und Stolz durchtränkt und überfüllt, wobei sie sich aber für viele als demütig darstellen – für viele, die nach dem Anschein urteilen und es nicht vermögen, nach den Früchten zu bewerten, wie der Heiland es gebot (Mt. 7,16; 12,33), noch weniger – nach dem geistlichen Gefühl, das der Apostel erwähnte (Hebr. 5,14). Bildhaft stellte der Prophet Jesaja die Wirkung der Prelest der „Meinung“ im gefallenen Erzengel dar – die Wirkung, die diesen Erzengel verführt und ins Verderben gestürzt hatte: Und du, sagte der Prophet, du sprachst in deinem Herzen: „Zum Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über die Sterne Gottes meinen Thron erheben, und mich niedersetzen auf den Versammlungsberg im äußersten Norden. Ich will hinauffahren auf Wolkenhöhen, mich gleichmachen dem Höchsten.“ - Doch in den Scheol wirst du hinabgestürzt, in die tiefste Grube. (Jes. 14,13-15).
Den mit der „Meinung“ Verseuchten entblößte der Herr wie folgt: Du sagst: Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts, und weißt nicht, dass du der Elende und der Jämmerliche und arm und blind und bloß bist. (Offb. 3,17). Der Herr ruft den Selbsttäuschenden zur Buße auf; ER bietet ihm die Möglichkeit, beim Herrn selbst das Erforderliche zu erwerben, das die Buße bildet (Offb. 3,18). Dieser Erwerb ist unbedingt notwendig: ohne ihn gibt es kein Heil. Es gibt kein Heil ohne Buße, und die Buße nimmt Gott nur von denjenigen an, die, um sie zu erhalten, ihren ganzen Besitz verkaufen werden – das heißt, von allem abschwören, was sie sich falscherweise als „Meinung“ zu eigen gemacht haben.
Jünger: Kam es bei dir schon vor, dass du solchen von dieser Art Prelest Verseuchten begegnet bist?
Starez. Die mit der Prelest der „Meinung“ Verseuchten sind sehr häufig anzutreffen. Jeder, der über keinen zerknirschten Geist verfügt, der annimmt, über jegliche Tugenden und Verdienste zu verfügen, jeder, der sich nicht an die Lehre der Orthodoxen Kirche hält, sondern über ein Dogma oder die Überlieferung willkürlich, nach seinem Belieben oder nach einer heterodoxen Lehre urteilt, befindet sich in dieser Prelest. Das Ausmaß der Prelest richtet sich nach dem Ausmaß der Abweichung und der Halsstarrigkeit in dieser Abweichung.
Schwach ist der Mensch! Die „Meinung“ schleicht sich in uns in der einen oder anderen Form gewisslich ein, und indem sie unser „Ich“ verwirklicht, entfernt sie uns von der Gnade Gottes. So wie es nach Meinung des hl. Makarius des Großen keinen Menschen gibt, der ganz frei von Stolz ist, so gibt es auch keinen Menschen, der von der Wirkung der feinen Prelest, die „Meinung“ heißt, frei ist. Sie belog auch den Apostel Paulus und wurde durch die harten Ereignisse kuriert, die Gott geschehen ließ. Wir wollen nicht, dass ihr unkundig seid, Brüder, was unsere Drangsal betrifft, die [uns] in Asien widerfahren ist, dass wir übermäßig beschwert wurden, über Vermögen, so dass wir selbst am Leben verzweifelten. Wir selbst aber hatten das Urteil des Todes in uns selbst, auf dass unser Vertrauen nicht auf uns selbst wäre, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt (2 Kor. 1,8-9). Aus diesem Grund müssen wir uns wachsam beobachten, damit wir uns nicht irgendeine gute Tat, irgendeine löbliche Eigenschaft oder eine besondere natürlich Fähigkeit zuschreiben - nicht einmal einen segensreichen Zustand, falls der Mensch in ihn emporgebracht ist - kurz gesagt, dass wir bei uns selbst keine Tugend anerkennen. Was aber hast du, sagte der Apostel, das du nicht empfangen hast (1 Kor. 4,7) von Gott? Von Gott haben wir sowohl das Sein als auch die Wiedergeburt und alle natürlichen Eigenschaften, alle Fähigkeiten, sowohl die geistigen als auch die körperlichen. Wir sind Schuldner Gottes! Unsere Schuld ist unbezahlbar! Aus solcher Art der Selbstbetrachtung entsteht von sich aus ein Geisteszustand, welcher der „Meinung“ entgegengesetzt ist - der Zustand, den der Herr uns gebot und den ER pries (Mt. 5,3). Eine große Drangsal ist es, durch irgendeine Gesinnung von der dogmatischen und moralischen Lehre der Kirche, der Lehre des Heiligen Geistes abzuweichen! Dies ist die Höhe, die sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes. Es obliegt uns, diese Art von Vernunft unter den Gehorsam des Christus gefangen zu nehmen (2. Kor. 10,4-5).
Jünger. Gibt es irgendwelche Verbindung zwischen der Prelest der ersten und der Prelest der zweiten Art?
Starez. Zwischen diesen zwei Arten von Prelest existiert gewisslich eine Verbindung. Die Prelest der ersten Art ist mit der Prelest der zweiten Art – der „Meinung“ – immer verbunden. Einer, der sich mittels des natürlichen Vorstellungsvermögens verführerische Bilder ausmalt, der mittels Schwärmerei (Phantasie) diese Bilder in ein verzauberndes Panorama zusammenstellt und sein ganzes Wesen dem verführerischen und kraftvollen Einfluss dieser Malerei unterordnet, meint, dass diese Malerei durch die Wirkung der Göttlichen Gnade zustande komme und dass die Herzensempfindungen, die durch diese Malerei erregt werden, eben segensspendende Empfindungen seien.
Die zweite Art der Prelest – die eigentliche „Meinung“ – wirkt ohne Ersinnung verführerischer Bilder; sie begnügt sich mit der Ersinnung angeblich segensspendender Empfindungen und Zustände, aus denen eine generell falsche, verkehrte Auffassung der geistlichen Askese (Podwig) entsteht. Einer, der sich in der Prelest der „Meinung“ befindet, bekommt eine falsche Ansichtsweise auf alles, was ihn umgibt. Er ist sowohl bezüglich seines Inneren als auch bezüglich seines Äußeren irregeleitet. Die Schwärmerei wirkt stark in denen, die durch die Meinung betrogen und verführt sind; doch wirkt sie ausschließlich im Bereich des Abstrakten. Sie befasst sich entweder gar nicht oder sehr selten mit der eingebildeten Darstellung von Paradies, himmlischen Heimstätten und Palästen, himmlischem Licht und Wohlgeruch, Christus, Engel und Heiligen; doch ersinnt sie immer angeblich spirituelle Zustände, eine enge Freundschaft mit Jesus (Die Nachfolge [Christi] von Thomas vom Kempen, Buch 2, Kap. 8), ein inneres Gespräch mit IHM (Die Nachfolge [Christi] von Thomas vom Kempen, Buch 3, Kap. 1), mystische Offenbarungen (Die Nachfolge [Christi], Buch 3, Kap. 3), Stimmen und Genüsse; sie gründet darauf eine falsche Auffassung über sich selbst und über die christliche Askese (Podwig), sie begründet generell eine falsche Denkweise und eine falsche Stimmung des Herzens; sie versetzt mal in Selbstberauschung, mal in fieberhafte Exaltation und Ekstase. Diese verschiedenartigen Empfindungen kommen vom Ehrgeiz und von der Genusssucht: das Blut gerät in sündige, verführerische Bewegung, die einem wie ein segensspendender Genuss vorkommt. Der Ehrgeiz und die Genusssucht werden ihrerseits vom Hochmut, diesem untrennbaren Gefährten der „Meinung“, erregt. Der schreckliche Stolz, dem Stolz der Dämonen ähnlich, ist die vorherrschende Eigenschaft derjenigen, die sich beide Arten von Prelest zu Eigen gemacht haben. Diejenigen, die durch die erste Art von Prelest verführt sind, versetzt der Stolz in den Zustand eindeutiger Geistesverwirrung; bei den durch die zweite Art Verführten ist sie weniger auffällig, obwohl sie ebenfalls eine Geistesstörung bewirkt, die in der Schrift die Verdorbenheit der Gesinnung genannt wird (2 Tim. 3,8); sie kleidet sich in die Maske der Demut, der Frömmigkeit, der Weisheit und kann an ihren bitteren Früchten erkannt werden. Diejenigen, die mit der „Meinung“ über ihre Tugenden, insbesondere über ihre Heiligkeit, verseucht sind, sind zu allen möglichen Listen, zu Heuchelei, Trug, Falschheit und allen möglichen Übeltaten fähig. Sie schnauben in unversöhnlicher Feindseligkeit wider die Diener der Wahrheit und stürmen gegen sie mit wütendem Hass, da diese den angeblichen Zustand der Verführten nicht anerkennen, welcher ihnen durch die „Meinung“ zugeschrieben und der blind bleibenden Welt zur Schau gestellt wird.
Jünger. Es existieren aber doch auch spirituelle Zustände, die durch die Gnade Gottes erzeugt werden - so wie der Zustand, in dem spirituelle Wonne und Freude genossen werden, der Zustand, in dem einem die Mysterien des Christentums eröffnet werden, der Zustand, in dem die Präsenz des Heiligen Geistes im Herzen erspürt wird, der Zustand, in dem der Asket Christi mit geistlichen Visionen gewürdigt wird?
Starez. Zweifellos existieren sie, jedoch nur für jene Christen, die die christliche Vollkommenheit erreicht haben, weil sie vorher durch die Buße gereinigt und vorbereitet waren. Die allmähliche Wirkung der Buße, die sich durch alle Arten von Demut - insbesondere durch das Gebet, das aus der Armut des Geistes und dem Weinen hervorgebracht wird - äußert, schwächt die Wirkung der Sünde im Menschen generell ab. Dies bedarf einer langen Zeit. Und diese Wirkung wird den wahren, in guter Absicht handelnden Asketen durch die Vorsehung Gottes gegeben, die unablässig über ihn wacht. Der Kampf gegen die Leidenschaften ist außergewöhnlich wertvoll: er führt mehr als alles andere zur Armut des Geistes. Zwecks unseres wesentlichen Nutzens ist unser Richter und Gott in Bezug auf uns langsam und nimmt an unserem Gegner (Lk. 18,7) – der Sünde – nicht sofort Rache. Wenn die Leidenschaften sich sehr abschwächen – am meisten geschieht dies gegen das Ende des Lebens (vgl. die Vitae von Theophilos, Pimen dem Vielerduldenden, Johannes dem Vielerduldenden, Paterikon vom Kiewer Höhlenkloster u.a.) – dann beginnen nach und nach spirituelle Zustände sich einzustellen, die sich unendlich von jenen Zuständen unterscheiden, die durch „Meinungen“ erdacht werden können. Erstens tritt das segensspendende Weinen ins Seelenhaus ein und wäscht und reinigt es für den Empfang der Gaben, die dem Weinen nach der festgelegten Ordnung des geistlichen Gesetzes folgen. Der fleischliche Mensch ist keineswegs, in keiner Weise fähig, sich solche geistlichen Zustände auch nur vorzustellen, noch ist er fähig, irgendeine Ahnung vom segensspendenden Weinen zu haben; die Erkenntnis dieser Zustände bringt nur durch die Erfahrung (vgl. Heiliger Isaak der Syrer, Homilie 55). Die geistlichen Gaben werden durch die Göttliche Weisheit verteilt, die beobachtet, dass das wortbegabte Gefäß, dem es obliegt, die Gabe in sich zu empfangen, die Kraft der Gabe ohne Schaden zu nehmen ertragen kann. Der neue Wein zerreisst die alten Schläuche! (Mt. 9,17). Wir erkennen, dass die geistlichen Gaben heutzutage nur mit größter Mäßigung verliehen werden, wegen der Lähmung, die das Christentum generell erfasst hat. Diese Gaben befriedigen allein das Bedürfnis nach Errettung. „Meinungen“ dagegen verteilen ihre Gaben in maßloser Ergiebigkeit und in größter Eile.
Das allgemeine Zeichen geistlicher Zustände ist tiefe Demut und demütiges Denken, gekoppelt damit, seine Nächsten und nicht sich selbst vorzuziehen, mit Wohlwollen, mit evangelischer Liebe zu allen Nächsten, mit Streben nach Bescheidenheit und Abkehr von der Welt. Für „Meinungen“ bleibt hier wenig Platz, da die Demut in der Abkehr von allen eigenen Tugenden, in der wesenhaften Erkenntnis des Erlösers, der Zusammenbringung aller Hoffnung und Stütze in IHM besteht, während „Meinungen“ im Ansichbringen der gottgegebenen Tugenden und in der Einbildung – für sich selbst - nicht-existierender Tugenden besteht. Sie ist mit der Hoffnung auf sich selbst und einer kalten, oberflächlichen Bekenntnis zum Erlöser vereint. Gott wird für die Verherrlichung des eigenen Selbst verherrlicht, so wie ER vom Pharisäer verherrlicht wurde (Lk. 18,11). Die von „Meinung“ Besessenen sind meist der Genusslust anheimgegeben, obwohl sie sich die erhabensten spirituellen Zustände zuschreiben, die in echter orthodoxer Askese beispiellos sind, und nur wenige von ihnen bewahren sich vor der groben Versklavung durch die Genusslust - wobei sie sich lediglich deswegen zurückhalten, weil in ihnen die Sünde aller Sünden - der Stolz - vorherrscht.
Jünger. Können durch die Prelest, die „Meinung“ genannt wird, irgendwelche merklichen, sichtbaren schweren Schäden entstehen?
Starez. Aus solcherart Prelest stammen die schädlichen Häresien, Schismata, Gottlosigkeit und Blasphemie. Deren schwerste sichtbare Folge sind unrichtige, für sich selbst und die Nächsten schädliche Aktivitäten - das Böse, das, trotz seiner Eindeutigkeit und Weitläufigkeit, kaum bemerkt und wenig verstanden wird. Den durch „Meinungen“ verseuchten Praktikern des Gebets geschehen manchmal auch Unheile, die offensichtlich sind; doch ist dies eher selten, da die „Meinung“ den Verstand zwar in eine fürchterliche Abirrung versetzt, aber nicht in solch eine Raserei wie ein gestörtes Einbildungsvermögen. Auf der Valamo-Insel, in einer weit entfernten Einsiedelei wohnte einst der Schema-Mönch Porfirij, den auch ich getroffen habe. Er übte sich in der Askese (Podwig) des Gebets. Welcher Art diese Askese (Podwig) war – das weiß ich gar nicht. Aber ihre Unrichtigkeit kann anhand der Lieblingslektüre dieses Schema-Mönches erraten werden: er schätzte das Buch des westlichen Schriftstellers Thomas von Kempen über die Nachfolge Christi sehr und machte es sich zur Richtlinie. Dieses Buch ist aus der „Meinung“ heraus geschrieben. Porfirij besuchte eines Abends, in der Herbstzeit, die Starzen einer Skite unweit seiner Einsiedelei. Als er sich von den Starzen verabschiedete, warnten sie ihn und sagten: „Komm nicht auf die Idee, übers Eis zu gehen: es ist gerade erst gefroren und noch sehr dünn“. Die Einsiedelei von Porfirij war von der Skite durch eine tiefe Bucht des Ladoga-Sees getrennt, die er umgehen musste. Der Schema-Mönch antwortete leise, mit äußerlicher Bescheidenheit: „Ich bin schon ganz leicht geworden“. Er ging, und schon nach einer kurzen Weile hörte man ein verzweifeltes Geschrei. Die alarmierten Starzen liefen hinaus. Es war dunkel, und so fanden sie nicht gleich die Stelle, an der das Unglück passiert war, um den Versunkenen herauszuholen; und als sie den Körper endlich geborgen hatten, war der von der Seele bereits verlassen worden.
Jünger. Du sagst über das Buch „Nachfolge Christi“, dass es aus dem Zustand der Selbstverführung heraus geschrieben ist; aber es hat doch viele Leser, sogar unten den Jüngern der Orthodoxen Kirche!
Starez. Das sind eben Verehrer, die von diesem Buch entzückt sind und über dessen Wert sprechen, ohne es besser zu verstehen. Im Vorwort des russischen Übersetzers zum Buch „Nachfolge Christi“ der Auflage von 1834, gedruckt in Moskau, steht: „Ein hoch aufgeklärter Mann“ – russisch und orthodox – „sprach immer wieder: wenn meine Meinung gefragt wäre, würde ich nach der Heiligen Schrift gleich ‚Die Nachfolge Christi’ von Thomas von Kempen nennen“ (S. 37). In diesem so entschiedenen Urteil wird dem andersgläubigen Schriftsteller der Vorzug vor allen Heiligen Vätern der Orthodoxen Kirche gegeben, und der eigenen Ansicht wird der Vorzug vor dem Beschluss der gesamten Kirche gegeben, die auf den Heiligen Konzilen die Schriftwerke der Heiligen Väter als gottinspiriert anerkannt und all ihren Kindern deren Lektüre nicht nur zur Seelenbelehrung, sondern als Richtlinie bei allen Entscheidung kirchlicher Fragen zugewiesen hat. In den Schriftwerken der Väter ist der große geistliche, christliche und kirchliche Schatz aufbewahrt, nämlich die dogmatische und moralische Überlieferung der Heiligen Kirche. Offensichtlich hat das Buch „Nachfolge Christi“ den erwähnten Mann in die Stimmung versetzt, aus der heraus er sich so unbesonnen, so irrtümlich, so letztlich unglückselig geäußert hat. (Die „Nachfolge Christi“ wurde beim erstmaligen Erscheinen sogar von der Katholischen Kirche selbst verurteilt und von der Inquisition verfolgt. Diese Verfolgung verwandelte sich später in Unterstützung, als offensichtlich geworden war, dass dieses Buch ein gutes Werkzeug zur Propaganda darstellte, gerade bei Menschen, die das wahre Verständnis des Christentums verloren und nur eine oberflächliche Einstellung zu diesem beibehalten hatten. Als päpstliche Propaganda ist die Verbreitung jener Auffassung zu verstehen, die der Papst der Menschheit über sich selbst einzuprägen wünscht; also die Auffassung seiner obersten, selbstherrlichen, unbeschränkten Macht über die Welt. Während die Propaganda dies zum Ziel hatte, widmete sie der Qualität der Lehre wenig Aufmerksamkeit; alles war Wasser auf ihre Mühlen, was ihrem Ziel diente – sogar ein Glaube an Christus ohne Abkehr vom Glauben an Idole). Das ist verführende Selbsttäuschung! Das ist Prelest! Sie wurde aus falschen Begriffen zusammengesetzt, und diese falschen Begriffe wurden aus unrichtigen Empfindungen geboren, wie sie in diesem Buch mitgeteilt werden. In diesem Buch wohnt und aus diesem Buch weht die Salbung des bösen Geistes, der den Lesern schmeichelt und sie mit dem Gift des Lügen berauscht, das mit den feinen Zutaten Hochmut, Ehrgeiz und Genusssucht versüßt ist. Dieses Buch verführt seine Leser direkt zur Kommunikation mit Gott, ohne vorherige Reinigung durch die Buße; deshalb kommt es vielen Menschen entgegen, die leidenschaftlich, mit dem Weg der Buße unvertraut und gegen die verführende Selbsttäuschung und Prelest nicht geschützt sowie in der richtigen Lebensführung durch die Lehre der Heiligen Väter der Orthodoxen Kirche nicht geschult sind. Dieses Buch übt eine starke Wirkung auf Blut und Nerven aus, es erregt sie – und gefällt deshalb besonders Menschen, die durch die Sinnlichkeit versklavt sind, da es ja möglich ist, das Buch zu genießen, ohne auf die groben Genüsse der Sinnlichkeit zu verzichten. Hochmut, Genusssucht und Ehrgeiz werden von diesem Buch als Wirkung der Gnade Gottes dargestellt. Nachdem die fleischlichen Menschen die Lüsternheit in ihrer feinen Wirkung erspürt haben, geraten sie in Entzückung durch den Genuss und die Berauschung, die ohne Mühe geliefert werden –also ohne Selbstlosigkeit, ohne Buße, ohne Kreuzigung des Fleisches samt den Leidenschaften und Lüsten (Gal. 5,24), in Hingabe zum Zustand des Sündenfalls. Fröhlich springen sie in Blindheit und Stolz vom Bett der viehischen Liebe in das Bett einer Liebe, die noch viel verbrecherischer ist und im Freudenhaus der verdammten Geister wohnt, Eine Person, die nach dem irdischen Stand zur obersten und ausgebildetsten Gesellschaft und äußerlich zur Orthodoxen Kirche gehörte, äußerte sich über eine dahingeschiedene, von dieser Person für eine Heilige gehaltene Lutheranerin wie folgt: „Sie hat Gott leidenschaftlich geliebt; sie hat nur an Gott gedacht; sie hat nur Gott gesehen; sie hat nur das Evangelium und die ‚Nachfolge Christi’ gelesen, die das zweite Evangelium ist“ (Diese entzückte Aussage wurde auf Französisch ausgesprochen, die für die Szene so tauglich ist: „Elle aimait Dieu avec passion; elle ne pemsait qu'à Dieu; elle ne voyait que Dieu; elle ne lisait que l'Evangile et l'Imitation qui est un second Evangile“). Mit diesen Worten ist eben der Zustand ausgedrückt, in den die Leser und Verehrer der „Nachfolge Christi“ geraten. – Dieser Satz ähnelt der Aussage der französischen Schriftstellerin de Sévigné über den berühmten französischen Schriftsteller Racine den Älteren: „Er liebt Gott“, erdreistete sich Frau de Sévigné zu sagen, „wie er vorher seine Kebsweiber geliebt hat“ („Il aime Dieu, comme il aimait ses maitresses“). Der bekannte Kritiker Laharpe, der zunächst Atheist war und dann zu einem falsch verstandenen und verdrehten Christentum überging, sagte, indem er die Aussage von Frau de Sévigné befürwortete: „Das Herz, mit dem man den Schöpfer, und das Herz, mit dem man das Geschöpf liebt, ist ein und dasselbe, wenn auch die Objekte ebenso verschieden sind wie die Effekte.“ Racine ist von der Unzucht zur Prelest, die „Meinung“ heißt, übergangen. Diese Prelest wird in den letzten beiden Tragödien des Dichters, „Esther“ und „Athalie“, ganz deutlich. Die erhabenen christlichen Gedanken und Empfindungen von Racine fanden einen breiten Platz im Tempel der Musen und des Apollon (Die Musen und Apollo waren Gottheiten der heidnischen Griechen (und Römer). Diesen Dämonen wurde das Patronat über die schönen Künste zugeschrieben) und sie erregten Aufsehen und Applaus im Theater. „Athalie“, was als höchstes Werk Racines angesehen wird, ist vierzigmal nacheinander aufgeführt worden. Der Geist dieser Tragödie ist derselbe wie jener der „Nachfolge Christi“.
Wir glauben, dass es im menschlichen Herzen ein viehisches Begehren gibt, das durch den Sündenfall hineingebracht wurde und sich zusammen mit dem Begehren der gefallenen Geister dort befindet; wir glauben aber auch, dass es im Herzen eine geistliche Lust gibt, mit der wir erschaffen wurden und mit welcher Gott und die Nächsten natürlich geliebt werden, und die sich in Übereinstimmung mit dem Begehren der heiligen Engel befindet. Um zu beginnen, Gott und in Gott den Nächsten zu lieben, und diese Liebe aufzubewahren, ist es notwendig, sich vom viehischen Begehren zu reinigen. Diese Reinigung bewirkt der Heilige Geist in dem Menschen, der durch sein Leben seine Entscheidung zur Reinigung äußert. Eigentlich wird eben das Begehren und die anderen seelischen Kräfte, in der moralischen Bedeutung, das Herz genannt – und nicht das Herz als Glied des Fleisches. Die Kräfte sind in diesem Glied konzentriert – und der Benennung ist durch die gemeinsame Verwendung vom Glied zur Konzentration der Kräfte übertragen.
Im Gegensatz zu fleischlich orientierten Menschen empfinden geistliche Männer, die den Geruch des Bösen erkennen, auch wenn er sich als das Gute ausgibt, unverzüglich Abneigung vor diesem Buch. Dem Starzen Isaja, einem Mönch, der sich in der hl. Nikephoros-Einsiedelei (Der Diözese Nowgorod) in Schweigsamkeit lebte, und im inneren Gebet fortgeschritten war und segenspendender Erscheinungen gewürdigt wurde, wurde ein Abschnitt aus der „Nachfolge Christi“ vorgelesen. Der Starez erkannte sofort die Bedeutung des Buches. Er lachte auf und rief: „Oh! Dies ist aus der Meinung heraus geschrieben. Hier gibt es nichts Wahres! Hier ist alles ausgedacht! Wie sich die spirituellen Zustände dem Thomas [von Kempen]einbildeten und wie er in ihnen zu sein meinte, ohne sie aus Erfahrung zu kennen, so beschrieb er sie auch!“ Die Prelest als Unheil gibt ein bitterliches Bild ab, wie der Irrsinn ist sie lächerlich. Der durch sein strenges Leben bekannte Archimandrit Theophan vom Kloster des hl. Kyrill von Nowoje Osero (Der Diözese Nowgorod), der in der Einfachheit seines Herzens fast ausschließlich mit körperlicher Askese (Podwig) beschäftigt war und von der seelischen Askese (Podwig) eine sehr geringe Ahnung hatte, empfahl zunächst den Personen, die ihn zum Rate zogen und sich unter seiner Leitung befanden, die Lektüre des Buches „Nachfolge Christi“ vor; einige Jahre vor seinem Dahinscheiden aber begann er dieses zu verbieten, indem er in heiliger Einfachheit sagte: „Früher habe ich dieses Buch als nützlich für die Seele erachtet; aber Gott hat mir offenbart, dass es für die Seele schädlich ist.“ Derselben Meinung über die „Nachfolge“ war auch Mönchpriester Leonid, für seine aktive monastische Erfahrenheit bekannt, der den Beginn der sittlichen Wohlgestaltung in der Optyna-Einsiedelei (Der Diözese Kaluga) verkündigt hatte. All diese erwähnten geistlichen Vorkämpfer waren mir persönlich bekannt.
Ein Grundherr, der im Geiste der Orthodoxie erzogen worden war und die sogenannte große Gesellschaft, also die Welt in ihren obersten Schichten, gut kannte, hat einmal das Buch „Nachfolge Christi“ in den Hände seiner Tochter gesehen. Er hat ihr die Lektüre dieses Buches verboten, indem er sagte: „Ich will nicht, dass du der Mode folgst und vor Gott kokettierst.“ Dies ist die richtigste Bewertung des Buches.
Jünger. Gibt es sonst noch irgendwelche Arten von Prelest?
Starez. Alle einzelnen Arten der verführerischen Selbsttäuschung und der Täuschung durch die Dämonen gehören zu den zwei oben genannten Hauptarten und kommen entweder von der unrichtigen Wirkung des Verstandes oder von der unrichtigen Wirkung des Herzens. Besonders weitgehend ist die Wirkung der „Meinung“. Nicht ohne Grund geraten jene Mönche in den Zustand der verführerischen Selbsttäuschung und der Prelest, die, nachdem sie die Praxis des Jesusgebets und das innere Tun generell verworfen haben, sich mit dem äußeren Beten begnügen; das heißt, mit der unablässigen Teilnahme an kirchlichen Gottesdiensten und der unablässigen Ausübung ihrer Zellengebetsregel, die ausschließlich aus Psalmensingen und lauten, klangvollen Gebeten besteht. Sie können die „Meinung“ nicht vermeiden, wie Starez Wassilij in seinem Vorwort zum Buch vom Heiligen Gregor dem Sinaiten erklärt, indem er sich vorwiegend auf die Schriftwerke der hl. Ehrwürdigen Mönche – Gregor und Simeon der Neue Theologe – bezieht. Die sich eingeschlichen habende Meinung äußert sich in den Asketen dadurch, dass sie, wenn sie über sich denken, dass sie ein aufmerksames Leben führen, aus Stolz häufig die Anderen verachten und schlecht über sie sprechen; sich ihrer eigenen Meinung nach für würdig halten, Hirten der Schafe und Leiter zu sein, wobei sie dem Blinden ähneln, der es wagt, anderen Blinden den Weg zu zeigen[6]. Das laute und klangvolle Beten ist dann fruchtvoll, wenn es mit Aufmerksamkeit gekoppelt ist, was selten vorkommt, da wir die Aufmerksamkeit meist erst bei der Übung des Jesusgebets erlernen (Das Vorwort vom Schema-Mönch Wassilij).
Einzelnachweise
- ↑ S. Mt. 22,2-14. (Anm. d. Ü.)
- ↑ In der kirchenslawischen Übersetzung: „Ich überführe und züchtige, die ich liebe: da ich eifrig bin, tue Buße!“ (Anm. d. Ü.)
- ↑ Мнение, vom Verb „мнить“ (wähnen). (Anm. d. Ü.)
- ↑ Angaben nach der russischen Auflage der Philokalie. (Anm. d. Ü.)
- ↑ Vgl. Alter Mensch (Anm. d. Ü).
- ↑ Über die beiden Arten des Gebets. Philokalie, Teil 1. (Deutsche Auflage (Verlagsbuchhandlung „Der Christliche Osten GmbH“): Band 4. (Anm. d. Ü.)