Katholizität (Sobornost)
Katholizität (Sobornost) ist ein theologischer Begriff, der die Einheit und Ganzheitlichkeit der Kirche sowie das Einswerden all ihrer Mitglieder unter Christus als dem Haupt der Kirche bedeutet.
Katholizität
(übersetzt von http://www.orthodoxphotos.com/)
Was ist Katholizität? „Das Glaubensbekenntnis des Hl. Athanasius dem Großen“, das in der christlichen Welt hoch geschätzt wird, zeigt, wie wichtig es für Christen ist, auf diese Frage eine Antwort zu finden.
Das Bekenntnis besagt: „Wer auch immer gerettet werden will, dem ist vor allem aufgegeben, den katholischen [d.h. allgemein gültigen] Glauben zu bewahren. Wer diesen nicht vollständig und unverletzt bewahrt, wird ohne Zweifel auf ewig verloren sein.“
Wer gerettet werden will, muss zuerst den katholischen Glauben bewahren. Wer diesen Glauben nicht rein und unschuldig bewahrt, der wird zweifelsohne für immer zugrunde gehen.“
Das Wort katholisch wurde von den Heiligen geistlichen Aufklärern Kyrill und Method als soborny (соборный) ins Kirchenslawische übersetzt, was in seiner Bedeutung eher konziliarisch bedeutet. Dies zeigt, dass sie (wie die gesamte Orthodoxie) dieses Wort anders verstanden als der heutige Westen, wo das Wort katholisch mit ökumenisch, universell übersetzt wird. So legte es auch das Tridentische Konzil der Römisch-Katholischen Kirche aus: „Die dritte Eigenschaft der Kirche ist ihre Katholizität, d.h. Ökumenismus und Universalität.“ (Catechismus ad Parochos, 1567)
Die Tatsache, dass die [orthodoxe] Kirche dieses Wort anders verstand als die Römischen Katholiken, wird auch dadurch ersichtlich, das schon im 11. Jahrhundert, im Sendschreiben des Hl. Polykarpes über das Märtyrertum, über den Bischof der katholischen Kirche in Smyrna geschrieben wurde: „Die Idee der ökumenischen Kirche in Smyrna ist sinnlos. Clemens von Alexandria schrieb im 3. Jahrhundert: ‘Wir meinen, dass die echte Katholische Kirche in ihrem Wesen und ihren Ideen, in Ursprung und Entwicklung, einheitlich sein muss, wegen der Einheit des Glaubens.’“ (Stromates, VII. XVII R. D. IX, 552)
Doch der Ausdruck „katholisch“ bedarf einer Erklärung. Was ist Konzil und was ist Katholizität? Für ein korrektes Verständnis müssen wir auf den Anfang der irdischen Welt zurückblicken und uns zu den Höhen der Theologie aufschwingen.
Gott offenbarte sich uns nicht als Einheits-Monade, sondern als Vielzahl, als Dreiheit in Einheit; Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott, der Heilige Geist; ein Gott, drei Persönlichkeiten, aber nur Ein Wesen.
Wie kommt diese Einheit dreier göttlicher Persönlichkeiten zustande? Durch die Fülle und vollkommene Liebe jeder Persönlichkeit zur Anderen und vollständige und vollendete Echtheit der Göttlichen Personen, durch die Abwesenheit jeglichen Schattens von Unaufrichtigkeit und Falschheit in der Heiligen Dreiheit.
Dies ist das wahre, ursprüngliche Bild der Katholizität, des Charakters des Konzils, der Art, wie die Heilige Kirche die Ewig-Heilige Dreiheit bezeichnet: als Vor-Ewiges, Göttliches Dreiheitliches Konzil, Rat bzw. Kollegium.
Dieses konzilsartige oder katholische Dasein ist die Quelle der größten, vollkommenen Freude und Glückseligkeit. Darum wollte Gott in seiner unaussprechlichen Göttlichkeit, dass die Freude des konziliarischen Daseins mit anderen Geschöpfen geteilt werden soll, die er als dazu fähig erschuf: zuerst das Konzil (Synaxis) der Engel und dann das der Menschen.
ER gab diesen Geschöpfen das Streben nach Vollkommenheit, die durch die Annäherung an IHN erreicht werden kann. Die Stellung der Engel ist genau dieselbe wie jene derer, die das Königreich Gottes erben werden, wie Basilios der Große sagte: „Ich bin ein Geschöpf, aber habe die Aufgabe, Gott zu werden.“
Freude und Liebe wachsen in dem Maße, in dem wir uns Gott annähern und seine Freude und Glückseligkeit teilen. Daraus folgt, dass Freude für Gott ein Dauerzustand ist, für Engel und selige Menschen dagegen ein Prozess, und zwar ein unendlicher Prozess, da die göttliche Freude, an der sie teilhaben, absolut unendlich ist.
Zudem ist dieser Prozess nicht individuell. Die Engel sind wie ein Konzil, katholisch. Jeder Engel ist eine Persönlichkeit, aber alle zusammen ergeben ein unteilbares Konzil, ähnlich der Dreiheit, dem Göttlichen Konzil.
Aus diesem Konzil der Engel fiel derjenige heraus, der nicht mit Gott kommunizieren und IHM nicht nah sein wollte, sondern den Weg der Selbstbehauptung und Isolation wählte. Er führte einen Teil der Engel, die ihm folgen wollten, mit auf diesen Weg und verdammte sie so zu einem elenden Dasein, fernab von jeder Freude, da sie abgefallen waren von der Quelle aller Freude – Gott.
Der Mensch wurde auch zum Dasein im Konzil berufen. Der hl. Basilios der Große schreibt: „Die Mönche, die in sich selbst die Sünde des Adam ausgetilgt haben, erneuern die vorgeschichtliche Schönheit; denn die Menschen würden keine Zwietracht, keinen Streit und keinen Krieg kennen, wenn die Sünde nicht ihre Einheit zerstört hätte. Mönche eifern dem Heiland und seinem Leben auf Erden nach; denn der Heiland war das Urbild des Schülers und machte sich selbst sogar den Aposteln einhellig, so wie sie es miteinander taten. Mönche eifern dem Leben der Engel nach, indem sie wie diese in allem ein Konzil anstreben.
Sie nehmen den Segen des verheißenen Königreichs vorweg, indem sie wie einst dort ein tugendhaftes Leben und gegenseitige Gemeinschaftlichkeit pflegen. Sie haben der Welt unabweislich vor Augen geführt, welchen großen Segen die Fleischwerdung des Heilandes auf uns gebracht hat, nämlich die Wiedereinswerdung mit Gott, soweit möglich, für die in Tausende Teile zerrissene und zersplitterte Menschheit. Also ist dies das Wichtigste bei der Heilsordnung: die menschliche Natur mit sich und dem Heiland in Einklang zu bringen, die ungute Trennung zu überwinden und die uranfängliche Einheit wiederherzustellen, so wie ein erfahrener Arzt einen verfallenen Körper mit Hilfe der Medizin wieder gesund machen kann.“ (Basilios der Große: „Die asketischen Regeln“, Kap. 18)
Dem göttlichen Plan zufolge sollten Menschen also nicht in verschiedene Einheiten — Monaden und Individuen — aufgeteilt sein, sondern Persönlichkeiten, die in einem gemeinsamen Dasein verbunden sind. Jeder sollte also unter Beibehaltung seiner persönlichen Eigenschaften mit allen anderen ein gemeinsames, kein abgeschiedenes Leben führen.
Dieser göttliche Plan wurde durchkreuzt durch die Sünde, als die menschliche Natur in Stücke — Individuen — zerfiel und des Menschen Wille sich gegen den Willen Gottes kehrte. Aber der Mensch beging die Sünde nicht aus dem festen Entschluss heraus, sich gegen Gott zu kehren, und deshalb war seine Sünde nicht gar so schrecklich, und die Verirrung seines Wesens war nicht hoffnungslos. Der ursprüngliche und echte Wesenszug des Konzils der Menschheit, ihre altertümliche Katholizität, wurde teilweise tief in der menschlichen Seele aufbewahrt. Und alles Gute und Wertvolle, was aus der vorchristlichen Welt stammt und heute noch in der unchristlichen Welt entdeckt werden kann, hat seine Wurzeln in diesem zuallererst verletzten, aber nicht zerstörten Wesenszug des Konzils — der Katholizität der Menschheit. Der Mensch führt nicht nur sein individuelles Leben. In gewissem Maße spürt er auch die Notwendigkeit einer anderen Daseinsform — nämlich der konziliären. Aus Erfahrung kennen wir das Gefühl des Mitleids, das allen Menschen eigen ist; das Bedürfnis, sozusagen aus sich herauszutreten und in jemand anderes Schuhen zu wandeln, seinen Kummer zu spüren und seine Freude zu teilen. Dies sind Bruchstücke der ursprünglichen menschlichen Fähigkeit, nicht nur für sich selbst zu leben, sondern mit seinen Nächsten. Wir verfügen über die Fähigkeit, andere Menschen zu verstehen, ihre Gedanken und Gefühle zu teilen; manchmal sogar in einem solchen Maße, dass diese Gedanken und Gefühle wie unsere eigenen werden. Der wichtigste und wertvollste Rest der ursprünglichen Katholizität ist die allen Menschen eigene Fähigkeit zu lieben. Liebe trägt den Menschen heraus aus seiner zerstörerischen Absonderung, welche Kälte und Leid mit sich bringt, und bringt ihm je nach der Stärke seiner Liebe die alte Freude des konziliären Daseins zurück. Die wissenschaftliche und künstlerische Schöpferkraft, von ihren primitivsten bis zu den allerhöchsten Ausgestaltungen, wurzelt ebenfalls im ursprünglichen Konzil; denn wissenschaftliche Schöpferkraft ist das Streben nach Wahrheit, und die Kunst die Suche nach und der Ausdruck von Schönheit; und so sind sie Reste des wahren Daseins, zu dem der Mensch berufen ist: die Fülle, Wahrheit und Schönheit Gottes zu begreifen. Die Freude, welche wissenschaftliche und künstlerische Schöpferkraft mit sich bringt, ist ein Rest und eine Spiegelung jener Freude, die nach dem Plan des Schöpfers dem Menschen ursprünglich zugedacht war und von welcher er durch das Begehen einer Sünde getrennt wurde.
Sicherlich sind die Reste dieses konziliären Wesenszuges, der in unserer Natur liegt, heute sehr schwach und kraftlos, wegen unserer Sündhaftigkeit. Jeder, der seine Absichten gründlich geprüft hat, weiß, wie kränklich diese guten natürlichen Gefühle sind. Wie sehr kann ein Mensch etwa aufrichtig mit ganzem Herzen mit den quälenden Leiden eines Nächsten mitfühlen, ohne von den eigenen Interessen und Wünschen abgelenkt zu werden?
Die Rückkehr zur Vollständigkeit des konzilartigen katholischen Leben, zum wesentlich-menschlichen Dasein, liegt nicht unserer natürlichen Kraft allein. Deshalb müssen auch alle althergebrachten und modernen Versuche, die natürliche Moral ohne das Christentum wiederherzustellen, erfolglos bleiben: selbst die liebevollsten und selbstlosesten Leute würden letztlich ihre eigenen Interessen über die der Anderen stellen. Die Wünsche des Selbsterhalts und des Egos sind im gefallenen Menschen einfach stärker als die Einsicht in die vergewaltigte Daseinsform des Konzils.
Also kann nur Katholizität zur Rettung, zum Heil führen, da sie den Menschen wieder näher zu Gott heranbringt und unweigerlich zur Freude führt. Abschottung und Zurückhaltung dagegen bringen Leid mit sich. Um den Menschen die Rückkehr zur Katholizität zu ermöglichen, stieg Gott zur Erde nieder. Jeder Mensch erbt seine körperlichen und geistigen Eigenschaften von den Eltern. In unserem Wesen ist nichts, was nicht vorher bereits in unseren Eltern oder irgendwelchen Vorfahren existierte. Demnach waren all unsere Eigenschaften, körperliche wie geistige, schon in Adam, dem Urvater der Menschheit, angelegt. Wenn er also eine Sünde beging, könnte jeder seiner Nachfahren früher oder später ebenfalls eine solche begehen.
Deshalb musste zum Heil der Menschheit etwas Neues in die menschliche Natur hineingelegt werden, das Adam noch fehlte. Dieses Neue wurde den Menschen durch den Sohn Gottes gebracht, welcher das Wesen des Adam mit seinem eigenen verband. Indem ER Mensch wurde, setzte er sich allen Versuchungen aus, die uns eigen sind; aber anders als Adam widerstand ER und ergab sich nicht der Versuchung, dem Willen des Vaters zuwiderzuhandeln; und deshalb blieb ER ohne Sünde.
Indem ER den Menschen durch das Wort und persönliches Beispiel den rechten Weg wies, nahm ER ihre Sünden auf sich und litt und starb, um sie [die Sünden] zu tilgen. ER selber war ohne Sünde, und so hatte der Tod keine Macht über ihn. Die Hölle, in die ER nach dem Tod am Kreuz hinabstieg, konnte den Glanz seiner Göttlichkeit nicht ertragen; und indem er die Mauern der Hölle zerstörte und die Fesseln des Todes sprengte, war Christus wiederauferstanden.
Dennoch wären die außergewöhnlichen Eigenschaften Jesu Christi — Weisheit, Heiligkeit, ewiges Leben und geistliche Kraft — sein persönlicher Besitz geblieben, wenn es seinem allgütigen Willen nicht beliebt hätte, sie über die gesamte Menschheit zu verteilen.
Aber wie hat der Herr dies vermocht? Er schuf ein neues Geschöpf — die Kirche.
Die Sünde schneidet das menschliche Wesen in Stücke; deshalb kann ein sündiger Mensch nicht eins werden mit einem Anderen. Nur eine ganz schwache Ahnung von Gemeinschaft ist der Menschheit verblieben. Ein nicht-sündiger Mensch aber kann die Gemeinschaft mit Anderen erreichen.
So konnte der sündenlose Mensch, Jesus Christus, Gemeinschaft mit jenen herstellen, die sich ihm anschlossen und von ihren Sünden befreit wurden, die ER für alle Welt auf sich nahm.
Eine solche mystische Verbindung mit Christus geschieht bei der Taufe.
Doch die Tatsache, dass Christus all unsere Sünden auf sich nahm, bedeutet nicht, dass wir nun sündigen könnten, ohne dadurch sündig zu werden. Nein, der Herr zwingt niemanden, zu IHM zu kommen, denn die Liebe und der Austausch mit Gott beruhen auf Freiwilligkeit. Jedes Mal, wenn ein Mensch sündigt, also das Böse statt dem Guten wählt, entfernt er sich von Christus. Dank der unendlichen göttlichen Gnade kann er aber durch Reue zu Christus zurückkehren. Daher liest der Priester während des Mysteriums der Beichte ein Gebet: „Versöhne und vereine ihn (oder sie) wieder mit Deiner Heiligen Kirche, durch Jesus Christus unseren Herrn.“ Durch die Beichte wieder in den Zustand der Sündlosigkeit versetzt, verbindet sich der Mensch wieder mit Christus im Mysterium der Heiligen Kommunion.
Die Kirche ist also das neue Geschöpf — das menschliche Konzil, angeleitet durch Christus; der wahre Organismus, in welchem ER der Führer ist. Alle ihre Mitglieder sind von gleichem Wesen, miteinander und mit Christus, und stellen die Vielfalt in Einheit dar, ähnlich zum ewigen Konzil der Göttlichen Dreiheit.
Dies bedeutet Konzil oder Katholizität.
Was bedeutet nun aber „katholischer Glaube“, wie ihn der hl. Athanasius als unabdingbar für die Rettung bezeichnete?
Es bedeutet, dass der Glaube, bekannt vom Konzil der Wesensverwandten mit Christus und den anderen Persönlichkeiten, von denen eine der Heilige Geist ist, der die Wahrheit lehrt. Diese Katholizität beinhaltet alle verstorbenen und noch lebenden Christen, die katholisch, also richtig glauben. Jeder von Ihnen ist für die Reinheit des eigenen Glaubens verantwortlich; denn wer etwas Anderes glaubt als die Anderen und als die Kirche, der entfernt sich aus dem Konzil und setzt den eigenen Willen gegen den Willen und die Idee des Konzils, welches von Christus geleitet und vom Heiligen Geist beseelt wird.
Deswegen ist es sehr wichtig, im Einklang mit dem ganzen Konzil, der ganzen Kirche, zu glauben und zu leben, und sich ihr nicht in irgendeiner Weise zu widersetzen. Im Einklang zu sein bedeutet allerdings nicht die Auflösung in der Eigenschaftslosigkeit, denn jede Person ist eine einmalige Persönlichkeit und ein individuelles, unverkennbares Abbild der Göttlichkeit mit den Eigenschaften, die nur dieser Persönlichkeit gehören und sich niemals und in niemandem wiederholen, so wie die Eigenschaften jeder Göttlichen Hypostase der Heiligen Dreiheit. Jeder Mensch hat seine eigenen Aufgaben im Leben; aber erfüllen muss er sie in Katholizität, Einheit und Wesensähnlichkeit mit den anderen Mitgliedern desselben Organismus — der Kirche.
Dies ist eine kurze Beschreibung der Katholizität. Über sie, über das Konzil der Menschheit und die Widerherstellung der durch Sünde beschädigten Einheit der Menschheit predigte Christus der Heiland im Hohepriestergebet vor seinen Leiden am Kreuz: „Heiliger Vater! Bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, auf dass sie eins seien, gleich wie wir.(…) Aber nicht für diese allein bitte ich, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben; auf dass sie alle eins seien, gleich wie du, Vater, in mir und ich in dir, auf dass auch sie in uns eins seien“ (Joh. 17,11; 21-22) Hier betete Christus über die Einrichtung der Kirche, das menschliche Konzil, ähnlich dem Konzil der Vor-Ewigen Dreifaltigkeit; denn wir sind berufen, Gott ähnlich zu sein, seit dem Augenblick unserer Erschaffung.