Gottesdienst zu Ehren Aller Heiligen der Rus
Auflage | |
Titel (Deutsch) | Gottesdienst zu Ehren Aller Heiligen der Rus |
Titel (Original) | Служба Всем святым, в земли Российской просиявшим |
Autor | Sponsel, Katharina Plank, Peter Thon, Nikolaus |
Übersetzung | |
Abstammung | Orthodox |
Herausgeber | Nicht angegeben |
Sprache des Originals | Russisch |
Serie | Keine |
Verlag | Christlicher Osten |
Jahr | 1987 |
Stadt | Würzburg |
ISBN | 978-3-927894-02-0 |
Beschreibung
144 Seiten, 13 farb. Abb., broschiert "Heilige Russlands" – Brückenbauer zwischen Ost und West. Dieses Buch gibt dem Leser einen Einblick in die Geschichte der russischen Kirche - einen Einblick in eine Geschichte, die nicht nur ein Jahrtausend umfasst, wie so oft gesagt wird, sondern in ihren Wurzeln viel weiter zurückreicht. Der Gottesdienst ist zusammengestellt worden durch das Landeskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche vom Jahre 1917. Im zweiten Teil des Buches folgen Kurzbiographien der im Gottesdienst erwähnten Heiligen nach dem deutschen Alphabet mit zahlreichen Strichzeichnungen, die vor allem für Ikonenzeichner interessant sein dürften.
Geschichte
Schon recht frühe Menologien und Synaxarien kennen nicht nur die Feste einzelner Heiliger und Märtyrer, sondern auch die gemeinsame Festfeier mehrerer von ihnen an einem Tag. Dies gilt sicher in erster Linie einmal für das Gedenken jener Heiligen, die durch ein gemeinsames Leben oder einen gemeinsamen Zeugentod in Verbindung stehen, wie etwa verschiedene Märtyrer der römischen Verfolgungszeit (z. B. die hll. Bassos, Eusebios, Eutychios und Basilides von Nikomedia am 20. Januar), aber bald auch für jene, deren gemeinsames Wirken an einem Ort oder in einer geistigen Tradition eine solche Zusammenfassung der Gedächtnisse rechtfertigt, wie etwa am 18. Januar die Feier der alexandrinischen Patriarchen Athanasios und Kyrill oder später am 30. desselben Monats jene der drei großen Kappadokier - Basilios dem Großen, Gregor von Nyssa und Gregor dem Theologen.
Auch zusammenfassende Feiern für eine nicht namentlich bekannte große Schar von Heiligen lassen sich - wiederum zuerst bei den Märtyrern - bis in die Frühzeit verfolgen. Als Beispiel seien hier die Kinder von Bethlehem (29. Dezember) oder der hl. Paphnoutios der Anachoret samt seinen 546 Genossen (19., nach einigen Menologien 20. April) genannt.
Darüber hinaus kam es aber offenbar im Rahmen des Austausches der Martyrerverehrung verschiedener Orte in der nachkonstantinischen Zeit bald zur Ausbildung von Sammelfesten für ganze Heiligengruppen, deren Wurzeln sich - wie bei den meisten Festen — im Orient finden, wo man schon im 4. Jahrhundert ein Gedächtnis aller Märtyrer beging. Der Termin der Feier war allerdings in den Teilkirchen verschieden. Die erste Spur eines solchen Festes finden wir wohl in den Hymnen des hl. Diakons Efrem des Syrers (306—373) auf den 13. Mai aus dem Jahre 359 „auf die in Christus Entschlafenen", wo es eingangs heißt: „Die Brüder, welche Christus aus unserer Mitte abberief, haben uns zu einer gemeinsamen Andacht zusammengerufen; um ihretwillen haben wir uns bereitwillig zum Lobpreis Christi vereint."
Eindeutig ist das (um 380 zu datierende) Zeugnis des hl. Johannes Chrysostomos (um 354—407), von dem eine Homilie überliefert ist, welche den Titel trägt „Rede am Feste aller Märtyrer, die auf dem ganzen Erdkreis gelitten haben" (PG 50,706—712). Dieses Gedächtnis wird - wohl weil man in den Heiligen die besonderen Früchte des Heiligen Geistes sah - am ersten Sonntag nach dem Pfingstfest begangen, wie der Goldmund selbst sagt: „Noch ist die Zahl von sieben Tagen seit Pfingsten nicht verflossen, und schon hat uns der Chor oder das Heer der Märtyrer erreicht!" Auch im Abendland wurde übrigens das Allerheiligenfest zuerst vorrangig an diesem Sonntag begangen, wie das Würzburger römische Lektionar des 6. Jahrhunderts bezeugt, das von einem „Dominica in natali sanctorum" spricht. Die alte Mailänder Kirche hingegen feierte den Gedenktag aller Märtyrer am Freitag der [|Osterwoche]].
Aufschwung erhielt die gemeinsame Festfeier aller Heiligen, als Papst Bonifatius IV. (608 — 615) sich vom Kaiser Fokas (602—610) das seinerzeit vom Schwiegersohn des Augustus, Marcus Agrippa, zu Ehren aller römischen Götter erbaute Pantheon erbat und am 13. Mai 609 oder 610 als christliche Kirche zu Ehren der hl. Jungfrau und aller Heiligen konsekrierte. Wann dann in der Westkirche die Translation des Festes auf den 1. November stattgefunden hat, ist nicht ausreichend geklärt: Einige Hinweise deuten schon auf Papst Gregorius III. (731-741), der in St. Peter eine Kapelle des Titels aller Heiligen weihte. Andererseits könnte auch die Idee, nicht nur alle Märtyrer, sondern überhaupt alle Heiligen der Kirche mit einer gemeinsamen Festfeier zu ehren, in Irland entstanden und von dort aufs Festland gekommen sein. Da in Irland der 1. November als Neujahrsfest in ausschweifender Weise begangen wurde, wäre die Datierung ebenfalls sinnreich zu erklären. Sie ist für das Abendland jedenfalls spätestens bei Papst Gregorius IV. (828—844) gesichert, der den Frankenherrscher Ludwig den Frommen (814—840) veranlaßte, dies Fest am 1. November für sein ganzes Reich verpflichtend zu machen. Die Orthodoxe Kirche hat demgegenüber an der altchristlichen Datierung des 1. Sonntags nach Pfingsten zur Feier dieses „hellstrahlenden Festes" festgehalten, da „die unsterblichen Blumen des Universums eingesammelt werden, die der ganze Weltkreis hervorgebracht, er, der von Urzeiten her durch die Ströme des Heiligen Geistes benetzt ist", wie es Kaiser Leon der Weise (886—911) in seiner Rede auf alle Heiligen formuliert hat (PG 107,171-192).
Mit dem Sonntag aller Heiligen schließt für das orthodoxe Kirchenjahr die (wechselnde) durch den Ostertermin bestimmte Festzeit, d. h. die Zeit des Triodion bzw. Pentekostarion (slav. postnaja triod' und cvetnaja triod'). Am ihm folgenden Montag beginnt auch eine der vier Fastenzeiten des Jahres, nämlich das Peter-und-Paul-Fasten, welches bis zum Fest der Apostelkoryphäen am 29. Juni andauert.
Mit dem 2. Sonntag nach Pfingsten, dem ersten nach Allerheiligen, beginnt eine neue Reihe der Wochen des Acht-Töne-Zyklus (Oktoechos), weshalb auch in den nachstehenden Text des Gottesdienstes die Eigentexte des 1. Tones aus dem Oktoechos aufgenommen sind. Die Reihe der elf Auferstehungsevangelien beginnt allerdings schon am Allerheiligensonntag, desgleichen die Verwendung der Katabasien „Öffnen will ich meinen Mund ..." bis zum 1. August (Typikon, Kap. 19).
Der Gottesdienst aller Heiligen, die auf der Erde der Rus' aufgestrahlt sind, welcher hier erstmals vollständig in deutscher Sprache im Druck vorgelegt wird, kann sich damit in seiner Sinngebung auf urchristliche Vorbilder berufen - wenn auch natürlich nicht in seinem Textbestand. Aber auch hier reichen seine Wurzeln verhältnismäßig weit zurück.
Die ältesten Menologien der russischen Kirche stellten natürlich — mehr oder minder gelungene und getreue - Übersetzungen der griechischen Originale dar, aber schon recht früh können wir von einem eigenen russischen liturgischen Schaffen sprechen, wie sehr alte Gottesdienstformulare (russ. sluscnby) zu den ältesten kanonisierten Heiligen der alten Rus’, den Leidenduldern Boris und Gleb, belegen. Je nachdem, ob man ihre Heiligsprechung mit der Errichtung der ersten ihnen geweihten Kirche und der Übertragung der Reliquien bzw. der Festsetzung des 24. Juli als jährlichem Gedenktag unter Jaroslav dem Weisen vor 1039 oder erst mit der zweiten Übertragung der Gebeine am 20. Mai 1072 gegeben sieht, ergibt sich ein Spielraum von etwa 50 Jahren für die Abfassung der ältesten Gottesdiensttexte durch den Metropoliten loann I. (ca. 1018—1030), denen bald weitere Formulare folgen, die alle noch einen starken Einfluss der byzantinischen Vorbilder aufweisen.
Ein gemeinsamer Gottesdienst für „alle neuen heiligen russländischen Wundertäter" (vsech svjatych novych tschudotvorcev Rossijskich) ist uns erstmals aus dem Ende des 16. Jahrhunderts bekannt. Archimandrit Leonid, der ihn in seinem Werk „Svjataja Rus' ili svidenija о vsech svjatych i podviznikach blagocestija na Rusi, St. Petersburg 1891)" anführt (Nr. 1189), wertet ihn als ein Werk des Mönches Grigorij aus dem Erlöser-Evfimij-Kloster in Suzdal', der durch eine Reihe von Gottesdiensten auf russische, vor allem Suzdaler Heilige bekannt ist (so auf die hll. Evfimij, Johannes, Varlaam, Feodor und Euphrosyne von Susdal, aber auch den frommen Kosma von Jachroma). In diesem Werk sind vor allem die Heiligen verzeichnet, welche 1547 und 1549 kanonisiert worden waren. In diesen beiden Jahren kam es nämlich in Russland unter dem Metropoliten Makarios (1543—1564) auf zwei Moskauer Synoden zu einer wahren Flut von Kanonisationen eigener nationaler Heiliger der russischen Kirche, nämlich von insgesamt 39 Personen (wobei in den meisten Fällen allerdings eine ältere Verehrung nur wieder bekräftigt bzw. kirchenamtlich bestätigt wurde; nur 9 Heilige wurden völlig neu kanonisiert). Um diese Zahl richtig zu ermessen, muss man bedenken, dass bis dahin die russische Kirche nur 22 Heilige kanonisiert hatte; alle anderen Gedächtnisse waren aus dem byzantinischen Menologion übernommen.
Die äußere Voraussetzung zu diesem Schritt, der die russische Orthodoxie in gewisser Weise in ihren Heiligengedächtnissen weitgehend von der griechisch-byzantinischen Mutterkirche abkoppelte, war die Krönung Ivans IV. Vasil'evic am 16. Januar 1547. Der neue Zar förderte mit aller Energie das Projekt der Kanonisierung, wenn er auch bei der Eröffnung der Versammlung am Sonntag der Orthodoxie, dem 26. Februar 1547, nicht selbst in Moskau war. Trotzdem war die Heiligsprechung der nationalen Gotteseiferer sein ureigenstes Anliegen. Dies erläuterte Ivan selbst in seiner Rede auf der Hundertkapitelkonzil 1551 so: „Es kam mir zu Bewusstsein und bewegte voll Eifer meine Seele, dass der große und unerschöpfliche Reichtum, der einen Schatz von vielen Zeiten her darstellt, schon bei unseren Vorvätern, kundgemacht werde: die großen Leuchten, die vielen neuen Wundertäter und unaussprechlichen Wunder, durch die Gott sich verherrlicht hat." Auf dem zweiten Konzil von 1549 wurden dann auch von den Bischöfen schon erste Kanones auf die neuen Heiligen nebst Viten und Wunderberichten vorgelegt. So hatte man z. B. auf persönliche Veranlassung des Metropoliten Makarios eine Lobrede (russ. pochvala) auf den hl. Alexander von der Newa erarbeitet.
Der hier eingeschlagene Weg wurde nun entschieden fortgesetzt: bis zum Ende der ersten patriarchalen Periode der russischen Kirche war die Zahl der kanonisierten Heiligen auf 146 angestiegen. Demgegenüber war die Synodalzeit - wohl auch dem aufklärerischen Zeitgeist entsprechend - sehr zurückhaltend mit Heiligsprechungen: die erste erfolgte (für den hl. Demetrios, Metropoliten von Rostov, der 1709 gestorben war) erst durch einen Ukaz der Kaiserin Elizaweta Petrovna 1757. Insgesamt wurden bis zum Regierungsantritt Kaiser Nikolaus II. nur fünf Heilige zur allgemeinen Verehrung kanonisiert.
Trotzdem bedeutet diese jahrhundertealte „Russifizierung" des Heiligenkalendariums, dass sich im Bewusstsein der russischen Gläubigen neben den Heiligen der apostolischen Zeit fast ausschließlich die nationalen Glaubenshelden verankert haben, während die Festfeier der frühchristlichen Märtyrer, aber auch vieler Väter der alten Kirche demgegenüber zurückgetreten ist. Die russischen Minäenausgaben enthalten für sehr viele Tage des Jahres nämlich wesentlich ausführlichere Texte der eigenen Heiligen als jener der allgemeinen Kirche. Aus dieser Vertrautheit mit den Heiligen des eigenen Landes ist es auch verständlich, wenn das Landeskonzil von 1917/18 in schwerer Zeit den Beschluss „über die Wiederherstellung der Feier eines Gedächtnistages aller russländischen Heiligen" fasste.
Dieser Entscheid des Landeskonzils datiert vom 13. (26.) August des Jahres 1918, also zu einer Zeit, da die Machtübernahme der Bol'seviki schon lange Wirklichkeit geworden war und sich bereits deutlich auf das Leben der Kirche auswirkte: bereits am 24. Januar 1918 war der nach dem Patriarchen rangälteste russische Hierarch, der Metropolit von Kiev, Vladimir (Bogojavlenskij) erschossen worden,- am 23. Januar desselben Jahres erfolgte die Veröffentlichung des „Dekretes über die Gewissensfreiheit und die religiösen Gemeinschaften", das u. a. in Art. 12 den Religionsgemeinschaften jegliches Eigentumsrecht absprach und in Art. 13 allen Kirchenbesitz zum Volkseigentum erklärte. Unmittelbar vor der Verabschiedung der Entscheidung über das Fest aller Heiligen Russlands kam es am 18. Juli 1918 zur Ermordung der kaiserlichen Familie in Ekaterinburg.
Auf diesem Hintergrund muss wohl der Entscheid des Landeskonzils vom August 1918 gesehen werden, der folgenden Wortlaut hat: „1. Der Festtag des Gedächtnisses aller russländischen Heiligen, der in der russischen Kirche existiert hat, soll wiederhergestellt werden. 2. Die Festfeier wird am ersten Sonntag des Petrusfastens vollzogen. 3. Der Gottesdienst zum Tag der Festfeier aller russländischen Heiligen wird am Ende des Pentekostarions ausgedruckt. 4. Der Höchsten Kirchen-Verwaltung wird es aufgetragen, jenen Gottesdienst auf den Tag der Festfeier aller neuen russländischen heiligen Wundertäter zu berichtigen und zu ergänzen, den der Mönch Grigorij erstellt hat."
Mit der Aufgabe der Überarbeitung des alten Gottesdienstes, die allerdings weitgehend den Charakter einer Neufassung annahm, wurden zwei Männer beauftragt, und zwar der damalige Priestermönch (und spätere Bischof von Kovrov) Afanasij (Sacharov, 1887 — 1962), der auch vor der Plenarsitzung des Konzils, dem er erst seit dem 20. Januar 1918 angehörte, über die Kanonisation einen Vortrag gehalten hatte, und der Professor der St. Petersburger Universität Boris Aleksandrovic Turaev (1868—1920). Turaev stammte aus Vil'na und war einer der bedeutendsten (und mit über 400 Arbeiten fruchtbarsten!) Orientalisten und Ägyptologen nicht nur des vorrevolutionären Russland, der auch eine Fülle orientalischer Sprachen beherrschte. Schon mit 28 Jahren war er 1896 Privatdozent für die Geschichte des Alten Orients an der Petersburger Universität. Inzwischen hatte sich sein Interesse aber von der altägyptischen Religion mehr auf die christlichen Kopten verlagert, deren Stundenbuch er 1897 eine umfangreiche Arbeit widmete. Hatte seine Magisterdissertation noch dem „Gott Tot" gegolten, so promovierte er zum Doktor über die „hagiologischen Quellen der Geschichte Äthiopiens". Zur Zeit des Konzils war Turaev, der bereits der Vorkonziliaren Kommission angehört hatte, Professor der Allgemeingeschichte in St. Petersburg. Auf ihn, der bekanntermaßen eine antisowjetische Haltung einnahm (nicht zuletzt wegen der Einstellung der neuen Staatsmacht zur Religion), dürfte der Großteil des neuen bzw. bearbeiteten Gottesdienstes entfallen sein. Dies erklärt wohl auch, warum etliche Teile (wie besonders die Tropierungen zu den Makarismen in der Göttlichen Liturgie) von einer kämpferischen Diktion geprägt sind und die schwierige Situation der russischen Christenheit des Jahres 1918/19 nur zu deutlich erahnen lassen.
Der von Turaev und Afanasij (Sacharov) erarbeitete Text konnte erstmals 1930 in Paris mit dem Segen des Metropoliten der Westeuropäischen Russischen Orthodoxen Kirchen (unter dem Ökumenischen Patriarchat), Evlogij (Georgievskij), in einer in der Druckerei des Stauropegialen Institutes im (damals polnischen) Lwow in der Westukraine erstellten kirchenslavischen Ausgabe der Bruderschaft des frommen Sergius von Radonesch (beim gleichnamigen Theologischen Institut, rue de Crimee, Paris 19) vorgelegt werden. Unsere nachstehende Übersetzung folgt dieser Erstausgabe des Gottesdienstes. In dieser Form ist der Gottesdienst dann auch in der russischen Emigration fast unverändert mehrfach nachgedruckt worden.
Angesichts der massiven Beschwörung der bedrohlichen Situation der russischen Christenheit, die an vielen Stellen im Gottesdienst vorkommt und der Sowjetmacht wohl als „konterrevolutionär" erscheinen mochte, sah sich die Kirchenleitung des Moskauer Patriarchates allerdings veranlasst, eine weitreichende Bearbeitung vorzunehmen, bei der angeblich der damalige Patriarchatsverweser (ab 1944 Patriarch) Sergij (Stragorodskij) federführend gewesen sein soll. Diese überarbeitete Ausgabe wurde 1946 in bürgerlicher Schrift und moderner Orthographie in einer staatlichen Typographie in Moskau gedruckt. Die Unterschiede sind dabei recht weitreichend: nicht nur, dass etliche Texte, wie die schon erwähnten zu den Makarismen, ganz entfallen sind, andere zur Gänze durch unverfänglichere ersetzt wurden, selbst die bloße Erwähnung von Fürstentiteln ist zumeist gestrichen. Andere Unterschiede dürften jedoch ihren Ursprung nicht in inhaltlichen Bedenken, sondern bloß in den Abweichungen differierender (handschriftlicher?) Vorlagen haben. Da die Quellenlage jedoch zu unübersichtlich ist, kann hier kein endgültiges Urteil gewagt werden. Man wird allerdings mit Trauer feststellen müssen, dass zwar alle russischen Kirchen in der Heimat wie in der Zerstreuung am gleichen Tage den Gottesdienst zu Ehren aller Heiligen ihres Volkes feiern, dies aber leider nicht mit den gleichen gottesdienstlichen Texten.
Der Gedenktag Aller Heiligen der Rus' ist ein russisches Fest, ein Tag nationaler Freude, der Selbstbesinnung und des Gebetes für jeden russischen Christen; aber er hat auch seine Bedeutung für Orthodoxe anderer Nationen, ja für viele Christen aller Konfessionen. Denn es waren ja gerade die russischen Glaubensboten, welche die Orthodoxie in viele Länder getragen haben, und es waren und sind die geistlichen Führer Russlands, die auch für viele Suchende überall in der Welt einen geschätzten Rat geben. Der fromme Seraphim von Sarow beispielsweise hat so eine weltweite Bekanntheit erreicht: Biographien über ihn existieren in Griechisch, Serbisch, Französisch, Englisch, Deutsch, Japanisch und anderen Sprachen! Am Grabe des hl. Sergius von Radonesch beten heutzutage Tag für Tag nicht nur russische Pilger aus allen Enden des Landes und der Emigration, sondern auch viele andersgläubige Besucher kommen in die Dreiheits-Lavra. Die Leidendulder Boris und Gleb gelten christlichen Pazifisten in aller Welt als Vorbild...
Aber auch unter den Heiligen der Rus' selbst finden wir nicht nur Russen der Nationalität nach, sondern nicht wenige Angehörige anderer Völker: Bulgaren, Tataren, Esten, Komi-Syrjänen, Griechen, Ungarn, Serben, Römer, Deutsche usw. Der gottesdienstliche Text trägt der Rechnung, wenn er oft anstelle des Wortes „russkij", welches die Nationalität bezeichnet, das Adjektiv „rossijskij" setzt, das die Zugehörigkeit zu einem Staats- bzw. Kulturverband meint. In dieser Übersetzung versuchen wir es mit dem im Deutschen zwar ungebräuchlichen, aber u. E. am ehesten entsprechenden Wort „russländisch" wiederzugeben.
Die Heiligen der Rus' sind geistige Vorbilder für viele geworden - und so können wir diese Hinführung zu ihrem Gottesdienst mit jener Anrufung schließen, die auf dem unteren Rande der Ikone aller Kiever Mönchsväter und ihrer Gefährten verzeichnet ist (vgl. Rückseite des Buches): IHR ALLEHRWÜRDIGEN VÄTER, DU GOTTGESCHMÜCKTER CHOR, VIELER WUNDER QUELLEN, DIE IHR DAS MYRON VERSTRÖMT, DU REICHER SCHATZ DES HERRN, IN DER ERDE VERBORGEN, HÖRET NICHT AUF, SO BITTEN WIR EUCH, FÜR UNS ZUM HERRN ZU BETEN, DA WIR ZU EUCH RUFEN:
Quelle: GOTTESDIENST zu Ehren Aller Heiligen der Rus', 1. Auflage 1987. Herausgeber: Landessekretariate der Catholica Unio Schriftleitung: Dr. Franz Jockwig, P. Dr. Gregor Hohmann OSA, Dietmar Süssner.