Anfang des Johannesevangeliums

Aus Orthpedia
Zur Navigation springenZur Suche springen

Johannes R. Nothhaas: Der Anfang des Johannesevangeliums

Man hat dem Evangelisten Johannes den Vorwurf gemacht, dass sich sein Christusbild in begriffliche Christuslehre aufzulösen drohe. Der Anfang seines Evangeliums, der erste Satz: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“, scheint diese Behauptung zu bestätigen. Das „Wort“ ist (im Griechischen „logos“) ein hochphilosophischer Begriff. Dass dieser für den Evangelisten ein Ehrentitel für den Gottessohn ist, lässt sich nur verstehen, wenn man weiß, welche Bedeutung das Wort im griechischen Denken hatte. Da sich das Christentum in den ersten drei Jahrhunderten bei seiner Ausbreitung der griechischen Sprache bediente, haben manche kritischen Geister die Behauptung vertreten, seine Originalität sei griechisch verfremdet und entstellt worden.

Verwunderlich ist nur, welche Lebenskraft und Dauer diese griechische Prägung des Evangeliums über fast zweitausend Jahre bewiesen hat. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass es gerade die Prägung durch das griechische Denken gewesen ist, die verhindert hat, dass aus dem Evangelium eine abstrakte Lehre geworden ist. Dafür sind die Schriften des Evangelisten Johannes das beste Beispiel. Die Erzählungen vom Besuch des Schriftgelehrten Nikodemus bei Nacht, vom Gespräch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen, von der Ehebrecherin und von der Heilung des Blinden sind von einer handfesten Wirklichkeit. Aber auch die Theologie des Evangelisten ist in ihrem Kern alles andere als begrifflich. Sie ist von einer greifbaren Leibhaftigkeit, hinter der sich jedoch ein in die Ewigkeit hineinreichender Hintergrund auftut.

Schon in den ersten beiden Worten: „Im Anfang ...“ tut dieser sich auf, wenn von dem die Rede ist, der im Anfang war. Der Anfang ist nicht materiell gedacht, sondern personal. Der Anfang dieses Evangeliums knüpft an den Beginn des Schöpfungsberichtes 1. Moses 1,1 an: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Den Anfang alles Seins bildet nicht die Materie, ein Chaos, ein Zustand oder eine Idee, sondern die Person Gottes selbst. Hier steht der Evangelist fest in der Tradition des Alten Testaments, was auch für den christlichen Glauben Geltung hat. Aber schon gleich anschließend erscheint der griechische Begriff „logos“. Dieser kann mit der Anknüpfung an den Beginn der Heiligen Schrift des Alten Bundes nicht anders als ebenfalls personal verstanden werden. Warum wird hier eine Person mit einem philosophischen Begriff genannt?

Man muss sich in die Situation des Evangelisten hineindenken, wenn man verstehen will, warum er Begriffe der griechischen Philosophie verwendet. Seine Adressaten sind Griechen. Ihnen will er in ihrer Denkweise den Inhalt des Evangeliums nahe bringen. Einer der wichtigsten Begriffe der griechischen Denkwelt ist der Ausdruck „logos“, der im Deutschen mit dem ganz unzureichenden Begriff „Wort“ übersetzt wird. Die Bedeutung des griechischen „logos“ ist viel umfassender als das, was „Wort“ zum Inhalt hat. „Logos“ ist im Denken der damaligen Zeit „das edelste Erbe der griechischen Geistesarbeit, der Begriff, die Idee ...“ (Romano Guardini). „Logos“ ist die Absage an das Chaos. Der Begriff beschreibt den Willen, dass das Dasein Gestalt, Ordnung, Licht, Wahrheit annehme. Er umfasst die Lehre von den Urbildern in einer geistigen Welt und ihren Abbildern in unsrer Welt. Was hier im Dasein unzulänglich und mit Schwäche behaftet ist, hat in der geistigen Welt seine bleibenden vollkommenen Urbilder. In diesen ist das ganze Dasein der lebenden und materiellen Dinge in einem bleibenden Halt verankert. Die Einheit dieser Urbilder, ihr Wert, ihre Weisheit, ihr Sinn in absoluter Fülle und Unzerstörbarkeit, das ist es, was die Griechen mit „logos“ meinen. Es ist der höchste und hehrste Begriff griechischer Philosophie: das Geistige, das die Welt zusammenhält.

Der Evangelist Johannes, kein Philosoph, kein Rhetor, von Haus aus ein jüdischer Fischer besitzt nun die Unverfrorenheit, dieses höchste geistige Gut der Griechen für den christlichen Glauben zu beschlagnahmen, zu sagen: dieser „logos“ ist nicht das, was ihr damit meint, sondern der Gottessohn, den wir Christen mit dem Namen und Titel Jesus Christus verkünden. Diese Vereinnahmung war für jeden griechischen Freund der Philosophie eine Beleidigung des Geistes. Den ihm vertrauten höchsten Wert ersetzen diese Anhänger einer neureligiösen, jüdischen Sekte durch die Person ihres am Kreuz gescheiterten und getöteten Wanderpredigers! Sie sagen: Der wahre „logos“, das ist Er, Christus.

Doch damit nicht genug: Der Evangelist Johannes, kein Philosoph, kein Rhetor, von Haus aus ein jüdischer Binnenseefischer steigt in den Abgrund alles Philosophierens, wählt den allerniedrigsten Begriff, den sich ein Grieche vorstellen kann: „sarx“, zu Deutsch „Fleisch“. Es ist das diametrale Gegenteil von „logos“, das Abschaumigste, das Verderbliche, das alles Denken zerstörende Leidenschaftliche, was den Menschen erniedrigt, was sterblich und vergänglich ist. - Und nun wagt sich der Evangelist, eine zweite noch größere Unverfrorenheit zu begehen: Er nimmt den höchsten Wert des Denkens bei den Griechen, den logos, und das Niedrigste, was sie sich vorstellen können, und backt beides zusammen in einen Satz:

   „Und das Wort (logos) ward Fleisch“ (Joh. 1,14)

Dieser winzige Satz – der massivste Angriff auf alle Philosophie. Er sprengt den Rahmen des höchsten geistigen Bemühens der Menschheit. Dieses Ringen bleibt in innerweltlicher Vergänglichkeit auf der Strecke, weil es von Menschen erschaffen ist. Der wahre Logos aber, der aus der Unvergänglichkeit in diese vergängliche Geschichte der Menschheit hineingekommen ist, - „Er kam in sein Eigentum“ (Joh. 1,11) - ist die Person gewordene Wahrheit zum Hören und Sehen, ja zum Anfassen (1 Joh. 1,1):

„Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben, vom Wort des Lebens.“ Solch harte und mächtige Gegensätze kennzeichnen das Christusbild des Apostels. Sein Christusbild ist vom Greifbar-Gegenwärtigen hinausgespannt bis ins Unzugänglich-Göttliche. Der christliche Glaube ist somit die wahre Philosophie, weil er die ganze Wirklichkeit, Himmel und Erde, zusammenfasst, und Gott und Menschheit wieder miteinander versöhnt hat.

Erstveröffentlichunge und Urheberrecht

Priester Johannes R. Nothhaas, Orthodoxe Gemeinde des Hl. Christophorus, Mainz. Bei Fragen an den Autor zum Artikel und dem orthodoxen Glauben: nothhaas@googlemail.com.
Der Artikel als Faltblatt: Datei:Der Anfang des Joh.doc